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Kommentar zum Jahrestag des ÜberfallsUnd was, wenn die Ukraine siegt?

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Eine Frau schwenkt eine ukrainische Flagge in der Nähe des Regierungsgebäudes von Cherson nach der Befreiung der Stadt durch die ukrainische Armee von der russischen Besatzung während des Krieges in der Ukraine. +++ dpa-Bildfunk +++

Cherson nach der Befreiung im November 2022

Erleben wir ein neues 1914? Sollten wir die Ukraine opfern, um eine unbeabsichtigte Eskalation zum Weltkrieg zu vermeiden? Ist es gefährlich, einen Sieg der Ukraine zu fordern? Oder ist es viel gefährlicher, wenn die Ukraine verliert?

Stellen wir uns einmal vor, die Ukraine gewinnt ihren Abwehrkampf gegen das Russland Wladimir Putins. Der Gedanke erscheint in Deutschland dermaßen verboten, dass Bundeskanzler Olaf Scholz das Wort „Sieg“ in diesem Zusammenhang lieber vermeidet. Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht machen dem ukrainischen Präsidenten das Streben nach einem Sieg sogar zum Vorwurf. Was nicht sein darf, kann für sie nicht sein, denn - Schwarzer - „Ich möchte nicht, dass eine Atommacht in die Knie gezwungen wird, weil ich weiß, was eine Atommacht dann tut“.

Das ist eine Kurzfassung des Narrativs, das Putin selbst verbreitet. Für Russland gehe es um die Existenz. Russlands Opfer und seine Helfer repräsentieren dagegen die eigentliche Bedrohung. Und das, während die Besatzer morden, vergewaltigen, foltern, die Verschleppung von Kindern im Staatsfernsehen feiern.

Die Verbrechen sollen aufhören, die Besatzer sollen gehen - mehr ist mit einem ukrainischen Sieg nicht gemeint. Aber schon das erscheint selbsternannten Realpolitikern und Pazifisten unziemlich, denn nun tritt ein zweites Narrativ hinzu: das von 1914, gleich nach Kriegsbeginn vom Ex-Bundesrichter Thomas Fischer im „Spiegel“ zitiert. Ein denkbar schiefer Vergleich, denn hier liegt ja nicht wie damals ein Mikro-Konflikt vor, der unversehens eskalieren könnte, sondern ein Großangriff. Er galt ausdrücklich auch der Nato. Moskau bedroht ebenso explizit weitere Länder wie Moldawien und Kasachstan. Wenn da ein historischer Vergleich fällig ist, dann der mit 1938/39, als die westlichen Staaten Hitler viel zu spät entgegentraten.

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Putin, das hat US-Präsident Joe Biden gerade wieder betont, kann diesen Krieg mit einem Wort stoppen. Dies zum Thema „in die Knie zwingen“: Putins Wort genügt, um seine Armee vor weiteren Verlusten zu bewahren. Alle westlichen Entscheidungen sind von dem Bestreben geprägt, eine Ausweitung des Kriegs über ukrainisches Territorium hinaus zu vermeiden.

Schwarzer und Wagenknecht greifen dagegen tief in die Kiste vermeintlich nationaler Interessenpolitik: Scholz müsse Schaden vom deutschen Volke wenden und dürfe daher der Ukraine nicht mehr helfen. Ähnlich argumentieren Donald Trumps Anhänger in den USA. Tatsächlich liefe aber nichts unseren Interessen so sehr zuwider wie das Leben in einer Welt, in der Diktatoren wie Putin das Völkerrecht mit Füßen treten. Und nichts würde das Risiko eines Atomkrieges so steigern wie ein solches Szenario. Denn Potentaten weltweit würden daraus lernen, was man durch nukleare Erpressung erreichen kann.

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