SilvesterkrawalleCDU-Politiker wegen „blankem Rassismus“ in der Kritik – Regierung will Lagebild abwarten

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Berlin: Feuerwehrleute löschen an der Sonnenallee einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war.

Feuerwehrleute löschen in der Silvesternacht an der Berliner Sonnenallee einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war.

Konservative Politiker nehmen die Silvesterkrawalle zum Anlass für eine Integrationsdebatte – teilweise mit rassistischer Wortwahl. Das sorgt für Kritik. 

Nach der Silvesternacht ist es in Deutschland zu einer Debatte über den Umgang mit den Krawallen, die vor allem Berlin in Atem hielten, gekommen. Während CDU-Politiker die Ursache in einer vermeintlich verfehlten Integrationspolitik sehen, ohne dass bereits umfassende Zahlen zur Silvesternacht und den mutmaßlichen Tätern vorliegen, will die Bundesregierung genau diese zunächst einmal abwarten – und lässt nun ein Lagebild erstellen.

„Der Kern der Debatte, um die es da bei diesem Geschehen in der Silvesternacht geht, ist ja nicht der sogenannte Migrationshintergrund oder die Forderung nach Böllerverboten“, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Mittwoch auf eine Frage, ob die Krawalle Anlass für eine Integrationsdebatte sein sollten. Vielmehr gehe es hier um einen „Angriff auf den Rechtsstaat“, so Büchner.

Zunächst müsse daher das bundesweite Lagebild abgewartet werden. Man habe in der Bundesregierung entschieden, erst alles aufzuklären und sich dann zu äußern und womöglich Konsequenzen zu ziehen.

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Silvesterkrawalle: Bundesregierung will bundesweites Lagebild abwarten

In derartig sachlicher Zurückhaltung übte sich unterdessen nicht jeder in der politischen Arena. Vor allem Politiker der CDU versuchten in den letzten Tagen vermehrt, aus den Krawallen in Berlin und anderen Großstädten eine Debatte über Integration abzuleiten. So hatte der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärt, es gehe bei der Gewalt an Silvester „um ungeregelte Migration, gescheiterte Integration und fehlenden Respekt vor dem Staat“. Eine Einschätzung, die von der Bundesregierung so offensichtlich nicht geteilt wird.

Scharfe Kritik zog unterdessen der CDU-Politiker Christoph de Vries auf sich, der auf Twitter geschrieben hatte, man müsse über die „Rolle von Personen, Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp sprechen“. Eine Pauschalisierung anhand von äußeren Merkmalen ist Rassismus.

Christoph de Vries in der Kritik: „Wenn ich das lese, muss ich kotzen“

De Vries‘ Worte grenzten an „Volksverhetzung“, kritisierte die Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi die Wortmeldung. „Blanker Rassismus innerhalb der CDU“ sei das, erklärte unterdessen ARD-Journalist Georg Restle.

Auch von der politischen Konkurrenz musste de Vries sich scharfe Kritik gefallen lassen. „Mir fehlen die Worte“, kommentierte die SPD-Politikerin Sawsan Chebli den Beitrag des CDU-Politikers. Der Wuppertaler SPD-Politiker Helge Lindh verurteilte die Worte. „Wenn ich das lese, muss ich, sorry, kotzen“, schrieb Lindh bei Twitter. „Das ist sie, die neue Merz-CDU“, schrieb derweil SPD-Politiker Jens Zimmermann. „Wer braucht eine Abgrenzung zur AfD, wenn man deren Positionen einfach 1:1 übernimmt.“

De Vries rechtfertige seine Worte mit „Ironie“, sie stammten aus dem Leitfaden für „diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch“ des LKA Berlin, behauptete der CDU-Politiker, erläuterte jedoch nicht, inwiefern das seine Aussage weniger rassistisch erscheinen lassen könnte.

Silvesterkrawalle: Franziska Giffey kündigt hartes Durchgreifen gegen mutmaßliche Täter an

Scharfe Kritik gefallen lassen musste sich auch FDP-Politikerin Katja Adler – sie hatte sich ebenfalls auf Twitter zu Wort gemeldet. „Und wieder wird jeder Gedanke an eine kulturelle Überfremdung fast schon reflexhaft in die rechte, gar radikale Ecke geschoben“, schrieb Adler, ruderte im Gegensatz zu de Vries nach kritischen Kommentaren jedoch zurück und löschte ihre Wortmeldung wieder. „Wir müssen eine Debatte zur Migrationspolitik führen, jedoch darf dies nicht mit den falschen Begriffen geschehen“, erklärte Adler und entschuldige sich für ihren „missverständlichen Tweet“. 

Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), kündigte unterdessen am Mittwoch ein hartes Durchgreifen gegen die mutmaßlichen Täter an. „Der Rechtsstaat wird solche Attacken gegen Polizei, Rettungskräfte und sonstige Helfer nicht dulden – egal von wem sie ausgeübt werden“, schrieb Giffey bei Twitter. Die Taten seien vorwiegend in „sozialen Brennpunkten“ passiert.

Nun seien viele auch „jenseits der Strafverfolgung“ gefragt, führte die Bürgermeisterin aus. „Auf derart komplexe Problemlagen gibt es keine einfachen Antworten, auch wenn manche das nun suggerieren“, vielmehr seien „neue Konzepte“ notwendig.

Auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte sich am Mittwochnachmittag. „Wir müssen gewaltbereiten Integrationsverweigerern in unseren Städten klar die Grenzen aufzeigen: mit harter Hand und klarer Sprache – aber ohne rassistische Ressentiments zu schüren“, erklärte Faeser. Das Innenministerium will „innerhalb der nächsten Tage“ weitere „Zahlen und Erkenntnisse“ vorlegen. 

Silvester in Berlin: 18 Nationalitäten bei Festnahmen erfasst

Kritik an der Diskursverschiebung in Richtung einer Integrationsdebatte gab es auch aus der Linken. „Deutsche Rassisten kriechen aus ihren Löchern und hetzen auf Twitter und in der Presse unverhohlen gegen Ausländer“, schrieb Parteivorstand Luigi Pantisano auf Twitter. „In sechs Monaten dann gibt’s wieder eine Razzia bei Nazis und die gleichen Typen reden von Einzelfällen und Bagatellen.“

Auch der flüchtlingspolitische Sprecher der Menschenrechtsorganisation ProAsyl, Tareq Alaows, äußerte Kritik an der Debatte. „Willkommen in Alamanya 2023, wo die Debatte über ein gesetzliches Böllerverbot missbraucht wird, um die rassistischen Narrative des 'gefährlichen migrantischen Mannes' zu verbreiten“, schrieb er bei Twitter.

„Politiker*innen tragen die Verantwortung, diese ablenkende Debatte in die richtige Richtung zu bringen. Weg von rassistischer Hetze und rassistischen Pauschalisierungen hin zu einem Diskurs, der die Angriffe auf Rettungskräfte ernst nimmt und Lösungen hervorbringt.“

Etwa zwei Drittel der 145 Festgenommenen im Zusammenhang mit den Silvester-Krawallen sind nach Polizeiangaben unter 25 Jahre alt. Davon sind 27 Verdächtige noch minderjährig, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte. Zuvor hatte der RBB berichtet. Weibliche Beschuldigte gibt es laut Polizei kaum: 139 der 145 der vorläufig Festgenommenen seien männlich, sagte ein Sprecher.

Nach Angaben der Berliner Polizei wurden nach den Krawallen in der Silvesternacht bislang 355 Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Alle Verdächtigen seien nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen wieder auf freien Fuß gekommen. Es seien insgesamt 18 verschiedene Nationalitäten erfasst worden. 45 der Verdächtigen sind laut Polizei deutsche Staatsbürger, 27 Verdächtige sind demnach afghanischer Nationalität und 21 sind Syrer. (mit dpa)

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