Rundschau-Debatte des TagesLützerath als Testfall für die NRW-Polizei?

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Erkelenz: Polizisten schieben einen Klimaaktivisten mit der Schubkarre vom Gelände in Lützerath.

Erkelenz: Polizisten schieben einen Klimaaktivisten mit der Schubkarre vom Gelände in Lützerath.

Jede vierte Straftat im Zusammenhang mit dem Protest gegen die Abholzungen am Tagebau Garzweiler II ist aufgeklärt. Dafür hat die NRW-Polizei mit nie dagewesenem Aufwand ein Jahr lang den Einsatz nachbereitet.

Sogar der Mönch ist enttarnt. Vor einem Jahr sorgte ein Krawallmacher mit brauner Kutte während der epischen Schlacht um das Braunkohle-Protestdorf Lützerath im rheinischen Revier für einen wahren Hit im Netz. Ein Video ging damals viral, das den falschen Geistlichen dabei zeigte, wie er Polizisten verhöhnt, die knietief in der Matsche versinken. Einen Hundertschaftbeamten, gerade mühevoll von Kollegen ausgegraben, stieß der selbsternannte Klimaschützer sogar zurück in den Dreck. Die Social Media-Gemeinde lachte teilte den Clip fleißig.

Jetzt ist offenbar Schluss mit lustig. Der Mönch von Lützerath sei als französischer Staatsangehöriger identifiziert worden, teilte das NRW-Innenministerium am Mittwoch mit. Der Mann habe zuletzt auch in Frankreich auf Demonstrationen die Kutte zur Verschleierung seiner Identität genutzt und sei dort bereits verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hat nun ein Rechtshilfeersuchen an die französische Justiz geschickt.

Der Fall ist das wohl prominenteste Beispiel für die Arbeit der „Ermittlungskommission Lützerath“, die unbemerkt von der Öffentlichkeit am 1. Februar 2023 eingesetzt wurde. „Auch wenn Lützerath schnell geräumt war, für die Polizei war danach nicht Schluss“, erklärt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Statt der erwarteten sechs Wochen benötigte ein gewaltiges Polizeiaufgebot aus zwischenzeitlich 3700 Beamten seinerzeit nur wenige Tage, um die symbolisch aufgeladene Ortschaft in Erkelenz für die RWE-Braunkohlebagger abzuriegeln.

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30-köpfige Ermittlungskommission ermittelt

Doch Reul wollte es damit nicht bewenden lassen. Die Aachener Polizei richtete mit Hilfe von Staatsschutzexperten aus sechs NRW-Behörden eine 30-köpfige Ermittlungskommission ein, die möglichst viele vermummte Straftäter wie den falschen Mönch ermitteln sollte. Vor allem das Demonstrationsgeschehen vom 14. Januar 2023, als rund 1000 von insgesamt rund 20.000 Demonstranten Polizeiketten am Tagebaurand durchbrachen, mochte man nicht einfach hinnehmen.

„Wir wissen sicher: Unter den Klimaschützern tummelten sich auch radikale Klima-Chaoten, die gewaltsames Protestieren und Auseinandersetzungen mit der Polizei dem friedlichen Demonstrieren vorgezogen haben“, sagt Reul. So wurde die Ermittlungsarbeit der wohl intensivste Versuch der NRW-Behörden überhaupt, die gewaltbereite linksextremistische Szene zu durchleuchten.

Lützerath: Bei den Vorbereitungen zur geplanten Räumung des Dorfes Lützerath drängen Polizeibeamte Aktivisten von einem Erdwall zurück.

Lützerath: Bei den Vorbereitungen zur geplanten Räumung des Dorfes Lützerath drängen Polizeibeamte Aktivisten von einem Erdwall zurück.

156 Straftaten konnten am Ende aufgeklärt werden – von Körperverletzung bis zu gemeinschaftlichem Landfriedensbruch. 281 Tatverdächtige sind identifiziert. Bei fast 600 Strafanzeigen steht eine Aufklärungsquote von rund 26 Prozent zu Buche. Der Leiter des Staatsschutzes der Polizei Aachen, Kai Jaeckel, spricht von einer „besonders beachtlichen Ermittlungsleistung“, da über 90 Prozent der Täter mit Schals oder Sturmhauben vermummt gewesen seien. „Die kleinteilige und aufwendige Ermittlungsarbeit war und ist ein großer Erfolg für die Polizei Nordrhein-Westfalen insgesamt“, so Jaeckel.

Lützerath: Innovative Verfahren angewandt

Möglich wurde das nur, weil so systematisch wie selten innovative Verfahren zur Anwendung kamen. Die Ermittler werteten fast 3400 Gigabyte Bild- und Videodaten aus. Ein Großteil des Materials wurde während der Demonstrationen von den „Beweis- und Festnahmeeinheiten“ der Polizei selbst gefilmt. Zudem wertete das Landeskriminalamt Filmsequenzen aus Social Media-Kanälen aus. Mit künstlicher Intelligenz und Gesichtserkennungssoftware wurden Abgleiche mit Straftäterdateien vorgenommen. Irgendwann fiel halt die Maske fast jedes Vermummten, weil etwas getrunken oder geraucht wurde oder die Zeigefreude in den sozialen Netzwerken siegte. Dazu Funkzellenauswertung von Tausenden Handydaten. Öffentlichkeitsfahndungen. 152 Zeugenvernehmungen, zum Teil online im gesamten Bundesgebiet. Das ganz große Besteck eben.

Es sei den Kollegen „ein echtes Anliegen“ gewesen, Straftäter aus dem schwarzen Block endlich nicht mehr straffrei davonkommen zu lassen, heißt es bei der Aachener Polizei. Mit wachsendem Frust wird schon lange beobachtet, wie professionell Angriffe auf Hundertschaftbeamte bei Großdemos orchestriert werden. Da die meisten Täter vermummt sind und mit verklebten Handflächen zu Werke gehen, ist die Identifizierung meist kaum möglich.

Auch Innenminister Reul wollte die Debatte endlich ordnen und besorgte Klimaschützer von notorischen Krawallmachern trennen: „Straftaten und Angriffe auf Polizisten sind mit der Demonstrationsfreiheit nicht vereinbar. Auch das wichtige Thema Klimaschutz legitimiert keine Straftaten.“ Die Ermittlungskommission konnte nun herausarbeiten, dass nur 13 Prozent der identifizierten Straftäter aus dem regionalen Umfeld Lützeraths kommen und nur 26 Prozent überhaupt aus NRW. Der Rest wird der Gruppe der „reisenden Gewalttätern“ zugeordnet, die immer wieder dort auffällig wird, wo es gegen die Polizei geht. Es sind zu 90 Prozent Deutsche unter 30 Jahren, meist männlich.

Lützerath: Während die Polizei Vorbereitungen zur geplanten Räumung des Dorfes Lützerath trifft, bauen Aktivisten Barrikaden auf und stecken diese in Brand.

Lützerath: Während die Polizei Vorbereitungen zur geplanten Räumung des Dorfes Lützerath trifft, bauen Aktivisten Barrikaden auf und stecken diese in Brand.

Zur Wahrheit gehört, dass auch gegen 32 Polizisten wegen möglicher Übergriffe ermittelt wurde. 21 Verfahren davon wurden eingestellt, neun sind noch anhängig. Zwei Strafbefehle gegen Beamte sind ergangen. Den damals von Aktivisten öffentlichkeitswirksam beklagten Übergriff auf einen Demonstranten, der angeblich mit einem Rettungshubschrauber abtransportiert werden mussten, hat es gleichwohl nie gegeben.

Selbst Gewalttätern, die zuvor noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sind, drohen offenbar empfindliche Geldbußen. Für einen Faustschlag gegen einen Polizisten hat das Amtsgericht Mönchengladbach etwa in einem Fall einen Strafbefehl über 90 Tagessätze a 60 Euro zugestellt. 5400 Euro für einen Ersttäter – das soll die Motivation zur Nachahmung dämpfen.

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