Die Kölner Silvesternacht 2015 offenbarte massenhaft sexuelle Gewalt und empörte die Nation. Das Vertrauen in Polizei und Ordnung war erschüttert.

10 Jahre danachVersagen nach der Silvesternacht in Köln und die Lehren

In der Silvesternacht waren am Kölner Hauptbahnhof Frauen sexuell belästigt und augeraubt worden.
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Die Silvesternacht 2015 in Köln war ein Desaster. In erster Linie für die betroffenen Frauen, die sich ungeschützt einem Mob ausgesetzt sahen. Sie wurden Ziel von massenhafter sexueller Gewalt, Auswüchsen, die das Land bis dahin nicht kannte. Die Frauen wurden zu ungeschützten Opfern, die nicht gesehen und nicht gehört wurden. Auch Tage danach nicht. Das ist der Kern dieser Silvesternacht – es gab im Zentrum einer der größten Städte des Landes einen kontrollfreien Raum. Das Vertrauen in die Polizei und die öffentliche Ordnung war zutiefst erschüttert. Die Folgen sind bis heute spürbar.
Das Versagen ist umfangreich analysiert worden. Der Polizeipräsident musste gehen, der Innenminister des Landes stand massiv unter Druck, und die Oberbürgermeisterin machte mit ihrem unglücklichen Satz über eine „Armlänge Abstand“ die Frauen eher zum Gespött als sie zu stützen. Die Akten des Untersuchungsausschusses, die die Kölnische Rundschau nun auswerten konnte, bringen auch zehn Jahre danach wichtige Erkenntnisse. Weil sich nachzeichnen lässt, wie die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind, weil sie helfen, Strukturen des Versagens offenzulegen. Weil sie es möglich machen, aus der Nacht die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Die Silvesternacht war kein geplanter Anschlag. Es war der Gewaltexzess einer unkontrollierbar gewordenen Männergruppe. Teile der Täter waren schon zuvor polizeilich bekannt gewesen, es handelte sich um kriminelle Diebesbanden, vielfach aus nordafrikanischen Ländern, die im Bahnhofsumfeld in Köln und anderen Städten tätig gewesen waren. Köln stand nach dieser Silvesternacht aber plötzlich für Gewalt von Flüchtlingen, für Menschen, die die Hilfsbereitschaft mit Füßen treten. Der berühmte Merkelsch'sche Satz „Wir schaffen das“ klang für manche wie eine Bedrohung. Und viele nutzten die Vorfälle, um gegen Ausländer Stimmung zu machen. Nach Köln stand das Land mit seiner Willkommenskultur auf der Probe. Die Prüfung dauert bis heute an.
Alles zum Thema Henriette Reker
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Auch die Medien haben sich nach der Silvesternacht kritische Fragen gestellt. Grundsatzfragen. Darf und muss man nicht die Nationalität von Tätern benennen, wenn es über singuläre Tatgeschehen hinausgeht? Der Deutsche Presserat änderte den Kodex, der Richtlinien für die journalistische Arbeit vorgibt. Während die Herkunft Tatverdächtiger zuvor nur bei „begründetem Sachbezug“ genannt werden sollte, befand das Gremium die Nennung nun als legitim, wenn ein „begründetes öffentliches Interesse“ vorliegt.
Die Stadt Köln erschütterte die Silvesternacht in ihrem Selbstverständnis als „supertolerante“ Metropole. Auf einige Grundsätze musste man sich plötzlich neu verständigen: dass Toleranz dort endet, wo sexuelle Gewalt beginnt, dass Offenheit und Entgegenkommen ihre Grenzen finden, wenn Banden ihr Unwesen treiben. Dass Vielfalt nur lebt, wenn sich alle an Regeln halten.
Zehn Jahre danach gibt es eine Schutzzone am Dom. Das Abschießen von Raketen ist wie das Böllern im Domumfeld verboten. Und auch in der nächsten Silvesternacht werden hunderte Ordnungskräfte am Hauptbahnhof Dienst schieben. Sie werden viel zu tun haben, und allen, die etwas anderes als Feiern im Sinn haben, hoffentlich rechtzeitig die Grenzen aufzeigen. Die Aufgabe ist nicht kleiner geworden in den letzten Jahren.
Wer Sicherheit garantieren will, kann sich keine Unaufmerksamkeit leisten. Das ist eine wichtige Lehre aus dem Versagen von 2015.
