Die Studentin Vivienne Richter hat sich mit der Erinnerungskultur in der Marktstadt beschäftigt. Und sie sieht Bedarf für weitere Forschung.
Master-ArbeitWie die Stadt Waldbröl mit den finstren Relikten der Nazi-Zeit heute umgeht

Vivienne Richter aus Gummersbach hat eine Master-Arbeit geschrieben mit dem Titel: „Waldbröls Erbe: NS-Großbauten in der kommunalen Erinnerung“. Bald übergibt sie ihr Werk an Waldbröls Bürgermeisterin Larissa Weber.
Copyright: Jens Höhner
Geschichte zu vermitteln, das ist ihr großer Traum. Aber nicht in einem Klassenzimmer, am liebsten mitten in einem Museum oder auch an einer Gedenkstätte. Vivienne Richter weiß, was sie will. Jetzt sucht sie danach. Bis Ende dieses Jahres arbeitet die 30-Jährige aus Gummersbach-Niederseßmar noch bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn und dort im Archiv der sozialen Demokratie.
Und gerade hat sie einen großen Batzen Arbeit hinter sich gelassen: „Waldbröls Erbe: NS-Großbauten in der kommunalen Erinnerung“ ist der Titel ihrer fast 190 Seiten starken Masterarbeit im Fach „Public History“, mit der Vivienne Richter ihr Studium am Historischen Institut der Kölner Universität beendet hat – und für die sie die Note 1,1 erhalten hat. Am Donnerstag, 21. August 2025, übergibt Vivienne Richter im Bürgerdorf am Alsberg ein Exemplar an Waldbröls Bürgermeisterin Larissa Weber. „Denn die Hilfe der Stadt war einfach großartig“, schwärmt die Gummersbacherin. „Besonders auf den Stadtarchivar Volker Wetzler konnte ich immer bauen.“

Seit 1982 trägt die sogenannte Friedensmauer in Waldbröl ihren Schriftzug „Nie wieder Krieg!“. Diese wird von Kindern und Jugendlichen der städtischen Gesamtschule immer wieder aufgefrischt.
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Ende des Jahres 2023 hat Vivienne Richter mit den Recherchen begonnen, im vergangenen April hat sie ihr Werk bei Professorin Christine Gundermann eingereicht. „Die Idee zu dem Thema ist etwa 2020 entstanden, als ich ein Symposium besucht habe und bei einer Exkursion nach Waldbröl dabeigewesen bin“, erinnert sich die Absolventin der Gesamtschule in Derschlag.
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In der Marktstadt wecken vor allem die Friedensmauer, früher Hitler-Mauer genannt, und die Historie des „Kraft durch Freude“-Hotels ihr Interesse und den Wunsch, diesen düstren Kapiteln deutscher Geschichte auf den Grund zu gehen und zu beschreiben, wie die Stadt Waldbröl heute mit solchen Betonzeugnissen umgeht.
Einst bauten die Nazis in Waldbröl ein „Kraft durch Freunde“-Hotel, heute eben darin buddhistische Nonnen und Mönche
Jenes Hotel beherbergt seit dem Jahr 2008 das Europäische Institut für angewandten Buddhismus, während die wohl 1938 errichtete, fast 200 Meter lange Stützmauer für eine sogenannte Kreisburg mit Eliteschule, Theater und Traktorenwerk seit 1982 den Schriftzug trägt „Nie wieder Krieg!“. Seither habe sich das Nazi-Bauwerk zu einem Ort zivilgesellschaftlichen Engagements und städtischer Geschichtspolitik entwickelt, sagt Vivienne Richter und nennt dabei etwa den Einsatz der städtischen Gesamtschule: Unter der Leitung von Lehrerin Nina Heinrichs frischen heute Kinder und Jugendliche die riesigen Lettern immer wieder auf, seit 2001 gibt es die Aktion bereits.
Im Zuge ihrer Forschung hat Vivienne Richter drei Phasen einer wachsenden Erinnerungskultur in Waldbröl ausgemacht: Von 1945 bis etwa 1980 sei die Stadt eher pragmatisch mit den Relikten des Dritten Reiches umgegangen, erst spät habe das Aufarbeiten begonnen: „Denn am Anfang war das Unrechtsbewusstsein noch nicht sehr ausgeprägt“, schildert die Urheberin.
Studentin aus Gummersbach hat für Waldbröl drei Phasen der Erinnerungspraxis ausgemacht
Die Jahre zwischen 1980 und 1990 bezeichnet sie dagegen als Zeit eines Erinnerungsbooms: Der Umgang mit der Nazi-Zeit sei individuell geworden, immer mehr regionale und auch lokale Geschichte sei aufgearbeitet, verarbeitet worden. „Jenem Jahr folgt die gelebte Erinnerungspraxis, die sich in zivilgesellschaftlichem Engagement ausdrückt und in Waldbröl auch stark von der Stadtpolitik getragen wird, und das dann oft auch mit finanziellen Mitteln“, erklärt Vivienne Richter und meint damit nicht nur die Ausbesserungsarbeiten an der Friedensmauer, sondern auch die bald 28 Geschichtsstationen, die seit August 2020 zu historischen Orten im Stadtgebiet führen.
Als Quelle für ihre Forschungen dienen nicht nur Dokumente aus dem Stadtarchiv, sondern auch etliche Berichterstattungen dieser Zeitung und Gespräche mit Beteiligten. Schriftliche Zeugnisse seien übrigens rar, bedauert sie und betont: „Es geht um eine städtische Identität, die aber noch nicht vollendet ist.“
Wo also sieht Vivienne Richter noch Arbeit? „Die Geschichte der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in Waldbröl zum Beispiel beim Bau des ‚KdF‘-Hotels eingesetzt waren, steckt immer noch in den ersten Forschungen“, urteilt die 30-Jährige, die in Köln zunächst ein Bachelor-Studium in den Fächern Deutsch und Geschichte für das Lehramt an Gymnasien absolviert, dem jetzt der Master-Abschluss gefolgt ist.
Während ihres Studiums hat sie zudem zwei Jahre lang als wissenschaftliche Hilfskraft im Lindlarer Freilichtmuseum des Landschaftsverbands Rheinland gearbeitet und sich dort mit einem kuriosen Fundstück beschäftigt: Eine knallgelbe Werbetafel warb in den 1940er Jahren für das höchstgefährliche, höchstgiftige Pflanzenschutzmittel E 605, das bisweilen auch dafür genutzt wurde, andere Menschen lautlos um die Ecke zu bringen.
„Das Museum in Lindlar habe ich schon als Kind geliebt, mit Oma und Opa war ich auch ganz oft in Schloss Homburg“, verrät die Oberbergerin und ergänzt: „Ein Job im Bergischen Land wäre toll.“ Zudem könne sie sich gut vorstellen, die Promotion zu beginnen.