„Der Job war noch nie so belastend“Eine Kölner Intensivpflegerin berichtet

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Sarah Meister bei ihrer Arbeit auf der Intensivstation

Köln – An das neue Abschiedsritual wird sich Sarah Meister (29) nie gewöhnen. Wenn das Herz eines Patienten seinen letzten Schlag getan hat und die Monitore neben dem Intensivbett nur noch den Tod verkünden, löst sie vorsichtig die Kabel und Schläuche der Herz-Lungen-Maschine, entfernt die Kanülen aus den Armen. Normalerweise würde das Bett anschließend in den Abschiedsraum geschoben, damit Angehörige neben dem Leichnam trauern können. Doch Covid-19-Patienten werden in einen Leichensack aus Plastik gepackt und in die Pathologie gebracht. „Das macht was mit einem“, sagt die Intensivpflegerin nachdenklich.

Als wir Sarah Meister vor drei Jahren bei ihrer Arbeit auf einer Intensivstation der Uniklinik Köln begleitet haben, war die Pandemie noch nicht zu erahnen. „Ich brauche den Stress hier“, hatte sie damals mit Blick auf die ohnehin schon ordentliche Arbeitsbelastung festgestellt. Doch das vergangene Jahr hat Spuren hinterlassen. „In der ersten Infektionswelle war die Bereitschaft für Sonderschichten groß. Jetzt ist jeder hier froh, wenn er mal frei hat“, erzählt sie. Wenn sie nach einer Acht-Stunden-Schicht die Klinik verlässt, fühle sie sich oft „ausgelaugt“.

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Die Entwicklung der Corona-Pandemie

127 Corona-Infizierte liegen derzeit in Köln auf einer Intensivstation. Obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz seit einigen Tagen kontinuierlich zurückgeht, hat sich die Lage auf den Intensivstationen noch nicht nachhaltig entspannt. Insgesamt werden 380 Menschen in den Kliniken behandelt und befinden sich dort in stationärer Quarantäne. Bislang sind in der Stadt seit Ausbruch der Pandemie 655 Menschen mit Corona gestorben.

In den Kliniken der Stadt werden ebenfalls zahlreiche Corona-Patienten behandelt, die meisten von ihnen in Merheim. Seit Beginn der Pandemie wurden allein hier 680 Infizierte behandelt, 220 von ihnen auf einer Intensivstation. Auch hier liegen Corona-Patienten manchmal länger als drei Wochen auf der Intensivstation. Seit Anfang November werden auch hier Operationen verschoben, um Platz für Covid-Patienten zu schaffen.

7 Intensivstationen gibt es allein im Klinikum Merheim, darunter eine Lungen-Intensivstation, die über mehrere ECMO-Geräte verfügt. Mit diesen Maschinen wird im äußersten Notfall das Blut der Patienten mit Sauerstoff anreichert.

Im Krankenhaus Holweide sind seit März 2020 insgesamt 360 Menschen behandelt worden, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, 60 davon auf der Intensivstation. Selbst im Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße gab es 60 Covid-19-Patienten, fünf von ihnen lagen auf der Intensivstation.

Der Arbeitsplatz von Sarah Meister befindet sich im Herzzentrum, erste Etage. Per Knopfdruck öffnet sich die Doppeltür zur Station 1.2, normalerweise stehen hier 24 Intensivbetten, derzeit sind es 28. Zehn von ihnen befinden sich hinter einer weiteren Tür - die Covid-Patienten. Der Jüngste ist gerade 22 Jahre alt, Vorerkrankungen hat er nicht. Andere sind höchstens 50 Jahre alt. „Es ist belastend zu sehen, wenn eine Behandlung nicht hilft“, sagt Sarah Meister. Das vergangene Jahr hat sie psychisch mürbe gemacht.

In der Kölner Uniklinik gibt es drei Intensivstationen, auf denen Covid-Patienten behandelt werden. Als die Infektionswelle vor zwei Wochen ihren bisherigen Höhepunkt erreichte, wäre beinah eine vierte Station eröffnet worden. „Wir hätten sie in der achten Etage eingerichtet, es konnten dann aber doch alle Patienten versorgt werden“, verdeutlicht Kliniksprecher Christoph Wanko die Notlage. Mitunter werden Herzpatienten verlegt und Corona-Patienten aufgenommen. Denn mitunter ist das Überleben eine Frage der Technik.

Uniklinik verfügt über zehn ECMO-Geräte

Zur Ausstattung der Klinik gehören zehn ECMO-Geräte, 100.000 Euro teuer und oft unbezahlbar im Kampf gegen die aggressiven Covid-19-Viren. Die Abkürzung steht für „Extrakorporale Membranoxygenierung“. Für einen Mann in Zimmer 22 ist sie so etwas wie die letzte Hoffnung. Sein dunkelrotes Blut verlässt den Körper an der Leiste durch einen durchsichtigen Schlauch und verschwindet in einem rechteckigen Kasten. Hier wird das Blut mit Sauerstoff angereichert, weil die Lunge dies allein nicht mehr schafft und die Beatmung künstlich erfolgt.

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Das Pflegepersonal muss nicht nur die Maschinen beherrschen. Sarah Meister kontrolliert Herz-Kreislauf-Medikamente sowie die Dosierung der Sedierung. „Außerdem muss alle zwei Stunden eine Blutgasanalyse gemacht werden, um die Intensität der Beatmung richtig einzustellen“, erklärt Meister. Das Analyse-Gerät steht außerhalb der Zimmer. Auf einem schmalen Papierstreifen druckt das Gerät PH-Wert und Sauerstoffsättigung aus. Das Blut wird außerhalb des Zimmers maschinell untersucht. Nach 90 Sekunden hat sie das Ergebnis.

Bis zu acht Wechsel der Schutzkleidung pro Schicht

„Anstrengend“, sagt Meister, ist vor allem das ständige An- und Ausziehen der Schutzkleidung. Bevor die Pflegefachkraft für Intensivmedizin die Zimmer betritt, stülpt sie sich eine neue FFP2-Maske vor Mund und Nase, dann zieht sie zwei Handschuhe übereinander an und bindet sich einen blauen Einmalkittel fest. Ihre Haare stopft sie unter ein weißes Netz, ihr Gesicht verschwindet hinter einem Visier. „Routine“, sagt sie, bis zu acht Mal vollzieht sie diese Prozedur pro Schicht. Für die getragenen Utensilien stehen rote Boxen bereit. „Das ist eine absolute Materialschlacht“, weiß Christoph Wanko.

Bevor die Pandemie den Erdball eroberte, lagen Patienten durchschnittlich zwei oder drei Tage auf der Intensivstation des Herzzentrums. Sie erholten sich von Bypass-Operationen oder einer Transplantation. „Covid-Patienten bleiben dagegen zwei bis drei Wochen bei uns“, bilanziert Sarah Meister. Viel Zeit, um Mitgefühl für das Schicksal eines Menschen aufzubauen. Viel Zeit, die anderswo fehlt und die Klinikabläufe durcheinanderwirbelt. „Andere wichtige Operationen müssen wir verschieben, darunter Tumor-Behandlungen oder Herz-OP’s“, verdeutlicht Wanko die Folgen der Pandemie. In der Uniklinik werden aktuell insgesamt 52 Covid-19-Patienten behandelt, davon 34 auf einer Intensivstation.

Regelmäßiges Wenden der Patienten hat sich bewährt

Die Frühschicht beginnt um 7.30 Uhr mit den ersten Wendemanövern des Tages. Jeder Covid-Patient auf Station 1.2 wird vom Bauch auf den Rücken gedreht. Drei oder vier Pflegekräfte packen mit an, entfernen Kabel und schließen sie wieder an. Bis zu 30 Minuten kann solch eine halbe Drehung dauern. Schon zu Beginn der Pandemie hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die Gewebsflüssigkeit bei regelmäßigen Positionswechseln in der Lunge verteilt und für Entlastung sorgt. Der Computertomograf (CT) liefert regelmäßig Bilder von der Lunge der schwerkranken Menschen. „Auch ich erkenne inzwischen, wenn sich die Lunge so stark verändert, dass sie sich nicht mehr erholen wird“, sagt Sarah Meister und lässt Desinfektionsmittel in die blauen Handschuhe tropfen. Bilder, die sich im Gedächtnis festsetzen wie Viren im Körper.

Wenn die Intensivpflegerin nach Hause kommt, will sie an manchen Tagen noch nicht mal mehr Freundinnen treffen. „Manchmal bin ich zu erschöpft, um noch spazieren zu gehen“, sagt sie. Auch das war vor einem Jahr noch anders. „Die dritte Infektionswelle spüren wir hier viel stärker. Aber vielleicht haben wir ja das Schlimmste überstanden“, hofft sie.

Doch erstmal werden sich weiter Tag für Tag viele rote Boxen füllen.

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