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„Mein Ding ist das Tanzen“Kölner über die Karriere im Karneval und sein Coming-Out

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Maurice Schmitz trat kurz nach seinem Coming-Out als Tanzoffizier bei den Blauen Funken zurück.

  • Maurice Schmitz war Tanzoffizier bei den Blauen Funken und belegte Platz 2 beim deutschlandweiten „Mr. Gay-Contest“.
  • Mit dem 21-Jährigen unterhielt sich Bernd Imgrund.

Köln – Auf unserer Café-Terrasse regnet es in Strömen, der Schirm schützt nur notdürftig gegen die Böen. Aber nach drinnen können wir nicht, ich habe meine Schutzmaske vergessen. „Kein Problem“, sagt Maurice Schmitz, „bleiben wir halt draußen.“

Haben Sie auf Schulfeten gern getanzt?

Ich habe schon mit drei Jahren Kampfsport gemacht und da während der Pausen immer getanzt. Mein Judotrainer meinte bald, das sei die falsche Sportart für mich. Er hatte recht, mein Ding war das Tanzen.

Alles zum Thema Bernd Imgrund

Damals schon an Stippeföttche und Schunkeln gedacht?

2009 suchte die Tanzgruppe bei uns in Ossendorf, die Kammerkätzchen, neue Mitglieder. Meine Mutter hat mich zum Casting geschickt, sie wollte immer, dass ich irgendeinen Sport mache. Und so begann das für mich mit dem Karneval.

Ist Ossendorf überhaupt noch Köln?

(empört) Na klar! Im Café, beim Bäcker und so arbeiten urkölsche Leute.

Gab es in Ihrem Veedel oder sogar auf Ihrer Schule eine schwule Szene?

Nein. Das habe ich nie gebraucht. (lacht)

Zur Person

Maurice Schmitz wurde 1998 in Köln geboren und wuchs in Ossendorf auf. Seine karnevalistische Karriere begann 2008, als er Gardist im Kinderdreigestirn wurde. Im Jahr darauf tanzte er in der Jugendtanzgruppe der Kammerkätzchen und Kammerdiener der Karnevalsgesellschaft „Schnüsse Tring“. Von 2014 bis 2016 bildete er mit seiner Tanzpartnerin dort das „Kathrinchenpaar“.

Seinen großen Traum, Tanzoffizier in einem Kölner Traditionskorps zu werden, erfüllte er sich 2018. Mit Marie Steffens an seiner Seite bildete er das Tanzpaar der renommierten Blauen Funken. Bei der Tanzpaarwahl der Kölnischen Rundschau landeten die beiden einmal auf dem zweiten und einmal auf dem dritten Platz. Nach zwei Jahre trat er jedoch überraschend zurück und kurz darauf auch aus dem Verein aus.

Parallel dazu trat er beim Mr. Gay Germany-Contest an und errang dort den 2. Platz. Weitere Schritte in diesem Zusammenhang wurden von der Corona-Epidemie unterbunden.

Maurice Schmitz macht eine Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen. Er wohnt in Ossendorf.

Welche Art Musik gefällt Ihnen denn jenseits der Folklore?

Alles: Schlager, Charts...

Heavy Metal...

Das weniger, und auch kein Deutsch-Rap. (lacht)

Und was zeichnet die Rumtata-Musik aus?

Chartmusik hört man weltweit, aber in Köln gibt es eine ganz eigene, traditionelle Karnevalsmusik. Die muss man fühlen, erleben, das ist etwas ganz Besonderes.

Was unterscheidet Tanzen vom Mariechen-Stemmen?

Unser Paartanz beinhaltet Hebungen, das ist sicherlich die größte Herausforderung.

Sie sind nicht gerade ein Muskelprotz.

Ich war unter den Tanzoffizieren immer der Schmalste. Aber beim Heben kommt es auf den Hebel und die Technik an, das hatte ich drauf. Also war es egal, dass ich so ein Lauch bin.

Wie schwer war Ihre Partnerin Marie Steffens?

Darüber spricht man doch nicht! (lacht)

Schimpft man mit denen, wenn sie zu viel futtern?

Nein, dann gibt man als Junge nach und trainiert eben mehr.

Was ist das eigentlich, ein Tanzoffizier?

Für mich war das immer das höchste Ziel: einmal mit einer Tanzpartnerin oben auf der Bühne zu stehen und das Publikum zu begeistern. Dafür habe ich hart trainiert, und letztlich habe ich es 2018 geschafft.

Was macht die Uniform aus Ihnen?

Ich habe sie gern angezogen, man hat darin eine ganz andere Körperhaltung.

Ihr erster Auftritt fand in China statt – ein ganz besonderer Premierenort?

Da lief eine deutsche Woche, und wir haben Köln repräsentiert. Es war unglaublich schwül und heiß, mir tropfte der Schweiß hinten von meinem Hut-Zopf in den Kragen.

Haben die Chinesen nicht den Kopf geschüttelt über Ihren Auftritt dort?

Im Gegenteil! Die Kinder haben getanzt, die Erwachsenen gelacht und gefilmt. Und alle wollten unsere Uniformen anfassen, für die war das wie Weihnachten.

Sie sind nach zwei Jahren zurückgetreten als Tanzoffizier, kurz nach Ihrem schwulen Outing. Ein Zufall war das nicht, oder?

Es könnte einen Zusammenhang gegeben haben, aber das wurde bisher nie öffentlich gemacht. Ich kann nur meine Empfindungen zusammenfassen: Nach dem offiziellen Outing fühlte es sich anders an bei den Funken, da war im Zwischenmenschlichen etwas passiert.

Sie waren in den Mr. Gay Germany-Contest eingestiegen, wo Sie am Ende im übrigen Zweiter wurden.

Genau, und das hatte eine gewisse, auch mediale Reichweite bekommen. Eigentlich war das sogar ein Support für den Verein, da hätte man mit spielen können. Aber unterschwellig spürte ich, dass man damit eher ein Problem hatte als darauf stolz zu sein. Ich fühlte mich plötzlich nicht mehr wohl.

Gab es interne Gespräche deswegen?

Nein, und das sagt ja einiges.

Sie sind letztlich komplett ausgetreten bei den Blauen Funken.

Ich habe aufgehört, weil ich nicht gegangen werden wollte. Es gab Andeutung und Vermutungen der Art, nach der Session müssten Gespräche geführt werden. Aber so einer Situation wollte ich mich nicht stellen, das wäre zu unangenehm gewesen. Mir wurde dann sogar die Austrittsfrist erlassen, ebenfalls wortlos.

Wusste man dort vorher, dass Sie schwul sind?

Das war so eine unausgesprochene Sache: Alle haben es vermutet, aber keiner hat mich gefragt. Meine Tanzpartnerin Marie wusste allerdings bescheid. Offiziell wurde das erst durch den Mr. Gay-Contest.

Zum Rücktritt wurde Ihnen noch auf der Bühne ein Ehrensäbel überreicht.

(lacht) Den habe ich fünf Minuten in der Hand gehalten – das war’s dann auch. Schlussendlich brauche ich ihn ja auch nicht mehr. Es wäre nur vielleicht eine schöne Erinnerung an die Zeit gewesen.

Warum sind Sie bislang nicht in den schwulen Karneval gegangen?

Schwuler Karneval? In Köln wird gemeinsam Karneval gefeiert!

Ging es bei dem Mr. Gay Contest um die beste Figur und Frisur, wie bei vergleichbaren Hetero-Wettbewerben?

Nein, und auch nicht um aufgepumpte Muskeln. Unter anderem mussten wir eine Kampagne konzipieren.

Ihre hieß „Love makes a family – not gender“.

Genau, mir ging es dabei um die bessere Integration von Regenbogenfamilien in unsere Gesellschaft. Nehmen wir allein die Werbung, wo immer nur die heile Hetero-Familie präsentiert wird.

Wie sieht es mit Ihrer Regenbogenfamilie aus: Wollen Sie mal heiraten und fünf Kinder austragen lassen?

(lacht) Austragen ist so ’ne Sache, aber ein bis zwei Kinder und heiraten möchte ich auf jeden Fall.

Was wurde aus der Kampagne?

Wäre ich Erster geworden, hätte ich sie im Prinzip leichter vorantreiben können – der nächste Schritt wäre der europäische Contest gewesen. Aber durch Corona ist das sowieso alles ins Wasser gefallen.

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Sie sagten danach, „es war ungewohnt, alleine auf der Bühne zu stehen“. Was war anders?

In der Session hat man die Jungs hinter sich, die einen immer irgendwie retten, wenn was schiefgeht. Die Nervosität verteilt sich, hinter der Bühne beruhigt man sich gegenseitig. Im Wettbewerb bist du hingegen allein. Ich habe da Musik gehört und alles gegessen, was mir in die Finger kam.

Hat der Contest Lust auf mehr gemacht?

Wenn sich da was ergeben würde, warum nicht? An Unterhaltungs- und Tanzshows könnte ich mir gut vorstellen teilzunehmen.

Einen spontanen Tango könnten Sie auf die Platte legen?

Klassische Tänze kann ich gar nicht, so was kommt im Karneval nicht vor. Aber kann man ja lernen.

Und wie steht’s mit der Karnevalskarriere?

Na ja, ich bin jetzt 21, und bis zum Ende meiner Zwanziger wäre ich gern noch mal Tanzoffizier in einem anderen Verein. Eigentlich wird man’s nur einmal, aber man weiß ja nie …

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