Fast 21 Jahre nach dem Nagelbombenanschlag auf der Keupstraße in Köln-Mülheim bleibt das Mahnmal für die Opfer in weiter Ferne. Stand jetzt, wird es frühestens 2028 errichtet.
NagelbombenanschlagNSU-Mahnmal in Köln wird nicht vor 2028 gebaut

Entwurf des Künstlers Ulf Aminde für das NSU-Mahnmal in Köln-Mülheim: Am Gedenkort können Besucher per Smartphone Videos von Interviews mit Betroffenen ansehen.
Copyright: Ulf Aminde
Bei den Betroffenen des rechtsextremen Terrors und vielen Menschen im Viertel sitzt der Frust tief. Sie haben sich vor kurzem mit einem offenen Brief an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Baudezernent Markus Greitemann sowie den Grundstückseigentümer, die Düsseldorfer Gentes-Gruppe, gewandt. Darin beklagen sie eine erneute „lange Zeit des Stillstands“ sowie „Stagnation“ und „Schweigen“.
„Die Realisierung des Mahnmals an der Keupstraße darf nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden, gerade vor dem Hintergrund der erstarkenden Rechten“, heißt es in dem Schreiben. Nach wie vor tue sich am vorgesehenen Standort nichts. Das sei „für die Betroffenen und die Stadtgesellschaft eine schwere Belastung“. Unterzeichnet haben den Brief unter anderem die Initiative „Herkesin Meydanı – Platz für alle“, die Geschichtswerkstatt Mülheim, die Initiative „Keupstraße ist überall“ und die IG Keupstraße.
Am 9. Juni 2004 war eine ferngezündete Bombe vor dem Friseursalon Özcan an der Keupstraße 29 explodiert. 22 Menschen wurden verwundet, vier davon schwer. Das Attentat im Herzen der türkischen Gemeinde Kölns verursachte aber noch ganz andere Verletzungen. Die Menschen dort sahen sich unter Generalverdacht gestellt durch die Polizei, die einen rassistischen Hintergrund vorschnell ausgeschlossen hatte. Erst nach der Selbstenttarnung der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) im Jahr 2011 wurde peu à peu der fremdenfeindliche Hintergrund der Tat bekannt.
Alles zum Thema Polizei Köln
- Riskante Flucht Kölner Polizei findet Drogen und Bargeld
- Badeunfall im Rhein 36-Jähriger geht in Köln ins Wasser und bleibt vermisst
- Gruppe sorgt für Aufregung Zeugen melden Bengalisches Feuer vor SPD-Zentrale in Köln
- Schockanrufer Bankangestellte verhindert Betrug an 88-Jähriger in Köln – Festnahmen in Leverkusen
- Große Übersicht Hier können Sie im Rhein-Erft-Kreis einen Maibaum kaufen
- Horrorfahrt nach Köln Taxifahrgast attackiert 79-jährigen Fahrer mit Reizgas und raubt ihn aus
- Angriff in Kölner Innenstadt 44-Jähriger nach Stich in den Hals in Lebensgefahr – Polizei sucht Zeugen
Mahnmal-Entwurf kombiniert konkretes Objekt mit virtueller Ebene
Schon bald reifte der Wunsch nach einem würdigen Gedenken für die Opfer. In einem Wettbewerb für ein Mahnmal im Jahr 2016 setzte sich das Konzept des Künstlers Ulf Aminde aus Berlin durch. Es besteht aus zwei Ebenen. An der Ecke der Kreuzung Keupstraße/Schanzenstraße soll die Fundamentplatte des Hauses, vor dem der Sprengsatz detonierte, maßstabgetreu in Beton nachgebildet werden – in direkter Sichtachse zum Anschlagsort. Hinzu kommt eine virtuelle Ebene. Auf ihren Smartphones können Besucher am Gedenkort Videos zum Thema ansehen. Darin erzählen Anwohner über den Anschlag, ihr Leben im Viertel und ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus.
Lange wurde darüber diskutiert, ob das Mahnmal unbedingt an dieser Stelle entstehen muss, denn das Grundstück gehört nicht der Stadt. Als es 2021 an die Düsseldorfer Gentes-Gruppe verkauft wurde, kam Bewegung in den festgefahrenen Prozess. Der neue Eigentümer, der das Areal auf dem ehemaligen Güterbahnhof Mülheim mit Wohnungen, Büros und Geschäften bebauen will, sicherte zu, die 550 Quadratmeter große Platzfläche für den Gedenkort an die Stadt Köln zu übertragen.
Die Stadt verkündete danach, das Mahnmal solle in drei bis vier Jahren realisiert sein. Demnach müsste es dieses Jahr fertig werden. Doch davon ist keine Rede mehr. Denn in den Vereinbarungen zwischen Gentes und der Stadt ist festgelegt, dass das Denkmal erst nach Abschluss der Bauarbeiten entstehen kann. Und die haben noch nicht einmal begonnen, obwohl Gentes 2022 einen Bauantrag gestellt hat.
Eigentümer geht von drei Jahren Bauzeit für das Gesamtareal aus
Inzwischen kriselt es in der Baubranche, zudem gab es Rechtsstreitigkeiten um das Projekt. Die sind nun geklärt, haben aber zu Verzögerungen geführt. „Die verschiedenen Verwaltungsgerichtsverfahren konnten zwischenzeitlich einvernehmlich beigelegt werden, so dass nunmehr bestandskräftige Baugenehmigungen vorliegen, die geordnete Überlegungen zur Realisierung des Projektes erlauben“, erklärt Gentes-Geschäftsführer Michael Kraus gegenüber der Rundschau. „Von unserer Seite ist der Beginn der Realisierung für November 2025 gewünscht, wir gehen derzeit davon aus, dass die Bauarbeiten etwa 36 Monate in Anspruch nehmen.“ Gentes habe das Grundstück erworben, „um es final an einen potenziellen Investor zu veräußern. Insoweit sind wir derzeit mit der Finanzierung des Gesamtprojektes intensiv befasst.“
Bei einem tatsächlichen Baubeginn im November 2025, drei Jahren Bauzeit und einem anschließenden Bau des Mahnmals wäre der 9. Juni 2029 wohl der erste Gedenktag, an dem das Mahnmal fertig sein könnte. Dann jährt sich der Anschlag zum 25. Mal. Kraus betont: „Soweit man einen Realisierungszeitraum von 36 Monaten ansetzt, ist davon auszugehen, dass die Arbeiten zur Realisierung des Denkmals im Kalenderjahr 2028 beginnen können. Eine frühere Realisierung des Denkmals ist aufgrund der Bautätigkeit aus unserer Sicht nicht empfehlenswert und nicht möglich.“
Filmprojekt zum Mahnmal soll laut Stadt Köln bis Juni 2026 fertig sein
Die Stadt Köln erläutert auf Anfrage, der Gedenkort könne erst dann erstellt werden, wenn das Grundstück der Stadt übergeben wurde. Da noch nicht absehbar sei, wann dies der Fall sei, „wurde in Abstimmung mit dem Künstler vereinbart, dass zumindest der virtuelle Teil des Denkmals zum 22. Jahrestag 2026 fertiggestellt sein soll“. Das von der Stadt für das NSU-Mahnmal eingerichtete Kuratorium habe seit 2024 zweimal getagt und dabei weitere Filmprojekte vergeben, „die in den virtuellen Teil des Denkmals eingespielt werden sollen“.
Der Forderung der Initiativen, das Gebäude an der Keupstraße/Schanzenstraße, die frühere Werksfeuerwehr von Felten & Guilleaume, vorübergehend als Gedenkort zu nutzen, erteilt Kraus eine Absage. „Dieser Wunsch ist bislang nicht an uns herangetragen worden.“ Nach der Anfrage der Rundschau habe man „in Zusammenarbeit mit unseren technischen Beratern den Vorgang geprüft“, so der Gentes-Geschäftsführer. Ergebnis: „Eine Interimsnutzung ist leider aufgrund der vorhandenen schlechten Bausubstanz nicht möglich.“ Das Gebäude sei „durchfeuchtet“, es verfüge über keine Strom-, Gas- und Wasseranschlüsse mehr und werde zu Beginn der Bauarbeiten abgerissen.
Stadt will keine Mittel für Interim-Gedenkort bereitstellen
Geld für einen vorübergehenden Gedenkort will weder Gentes bereitstellen, noch die Stadt, sie sagt: „Aufgrund der angespannten Haushaltslage lässt sich derzeit eine Kostenübernahme durch die Stadt Köln nicht darstellen.“
„Eigentlich müsste das Mahnmal längst fertig sein. Dass es spätestens zum 25. Jahrestag fertig wird, muss jetzt das absolute Minimalziel sein“, meint Meral Sahin von der IG Keupstraße. Die Anwohner und Betroffenen seien es leid, dass sie immer weiter für das Mahnmal kämpfen müssten. „Dieser Aufgabe sollte sich eigentlich die ganze Stadt verpflichtet fühlen.“ Das Thema müsse in der Stadt sichtbar gemacht werden. „Die Menschen auf der Keupstraße fühlen sich nicht ernst genommen.“