Eine deutsche Führungsrolle bei europäischen Atomwaffen? Was Jens Spahn konkret meint, ist unklar, aber die Äußerungen des Unions-Fraktionschefs sorgen für gewaltiges Aussehen. Ist es eine gute Idee, in Nuklear-Angelegenheiten für Verwirrung zu sorgen?

Jens Spahn und die AtomwaffenAbschreckung funktioniert nicht nach dem Rouletteprinzip

Ein US-Kampfflugzeug F-35: Auch die Bundeswehr wird solche Maschinen anschaffen. Sie können von den USA bereitgestellte Atombomben trage.
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Unions-Fraktionschef Jens Spahn hat offensichtlich das Prinzip der Strategischen Ambiguität entdeckt, aber nicht verstanden. Er hält es für eine gute Idee, wenn das Kommando über Atomwaffen unter europäischen Staaten nach dem Zufallsprinzip rotiert – „dann bleibt auch ein potenzieller Gegner im Ungewissen“.
Spahn sollte innehalten und sich klarmachen, dass Strategische Ambiguität nichts mit Konfusion zu tun hat. In der Tat geht es darum, einem potenziellen Gegner – Hand aufs Herz, gemeint ist der lupenreine Demokrat Wladimir Putin – deutlich zu machen, dass er das Risiko einer Aggression gegen Nato-Staaten nicht kalkulieren kann. Dass er also nicht weiß, was ihm äußerstenfalls droht. Aber das setzt auf Nato-Seite glaubwürdige Handlungsoptionen und eine klare Führungsstruktur voraus. Und sicher kein Nuklearkommando nach dem Rouletteprinzip.
Angesichts des bedenklichen Trends zu nuklearer Proliferation sollten wir auf Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags mit der Begrenzung auf fünf Atommächte bestehen.
Auf russischer Seite herrscht leider die Vorstellung, man könne eine nukleare Eskalation begrenzen und daher notfalls durch nukleare Gefechtsfeldwaffen eine Entscheidung in einem Krieg herbeiführen. Dem muss die Nato im Sinne der Ambiguität Antworten entgegensetzen können – auch nukleare. Bislang wird dies für Deutschland durch die nukleare Teilhabe am US-Arsenal gesichert, die auf Jahre hinaus auch nicht zu ersetzen sein wird: Deutsche Jets können US-Atomwaffen tragen.
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Diese Teilhabe sollten wir nicht durch unbedachte Äußerungen auf Spiel setzen, können aber sicher vertraulich und ergänzend auf eine vergleichbare Zusammenarbeit mit Frankreich hinarbeiten. Das von Spahn auch genannte Großbritannien hat dagegen nur strategische Atomraketen, keine Gefechtsfeldwaffen. Klar ist aber, wie Spahn auch einräumt: Den Einsatz so verheerender Waffen kann nur der oberste Befehlshaber des Staates erlauben, der sie besitzt – also in diesem Fall der französische Präsident.
Es ist im eigenen deutschen Interesse, genau daran festzuhalten. Was soll dann Spahns Gerede über eine deutsche Führungsrolle? Angesichts des bedenklichen Trends zu nuklearer Proliferation (siehe Iran und Nordkorea) sollten wir auf Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags mit der Begrenzung auf fünf Atommächte bestehen. Und nicht den Eindruck zulassen, wir wollten indirekt selbst zur Atommacht werden.
Spahns Äußerungen wecken Zweifel an der Seriosität der deutschen Sicherheitspolitik, deren Ziel es sein muss, durch glaubwürdige konventionelle Abschreckung den Einsatz von Atomwaffen auszuschließen. Da hat Spahn die Aufgabe, im Dialog mit dem Koalitionspartner SPD die dort unübersehbaren Bedenken vieler Abgeordneter gegen konventionelle Mittelstreckenwaffen auszuräumen. Die nämlich werden zur glaubwürdigen konventionellen Abwehr russischer Atomdrohungen dringend gebraucht.