Ende einer Klütten-ÄraBrikettfabrik in Frechen stellt die Pressen still

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Verladung der Briketts auf dem Gelände der Fabrik Wachtberg in Frechen

Frechen – Nach 120 Jahren geht in Frechen eine Ära zu Ende. Offiziell wird Ende Dezember die Produktion von Briketts eingestellt. Damit sind die „Klütten“ Geschichte. Die Brikettfabrik Wachtberg ist die letzte Fabrik in Westdeutschland, die noch Briketts gepresst hat. Guido Steffen, Mitarbeiter der RWE-Pressestelle, hat im Unternehmensarchiv gewühlt und die Geschichte der Fabrik Frechen/Wachtberg zusammengetragen.

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Historisches Bild vom Wachtberg in Frechen.

Die Geschichte der Brikettfabrik Wachtberg beginnt am 18. August 1901. Die rheinischen Kohlenbarone Victor Rolff, Peter Werhahn und Carl Sporkenbach stellen an diesem Tag das „Statut von Wachtberg I, Braunkohlenwerke und Briketfabrik Frechen, Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Frechen bei Cöln“ auf. Um die Jahrhundertwende erlebt der rheinische Braunkohlenbergbau den langersehnten Aufschwung. Während es 1885 im ganzen Revier nur zwei Brikettfabriken, 1890 schon sechs gegeben hat, sind es im Jahr 1900 bereits 17. Sie alle liegen an bereits vorhandenen Braunkohlengruben, so auch die Fabrik Wachtberg.

Arbeitszeit von zehn Stunden

Wo bis dato nur die als „Klütten“ bekannten Nasspreßsteine hergestellt worden sind, sollen jetzt Briketts produziert werden. Unter Rolffs Leitung nimmt die Fabrik Wachtberg I 1902 ihren Betrieb auf. Bereits 1905 werden auf Wachtberg I „Union“-Briketts gepresst. Der Arbeitstag eines Fabrikarbeiters ist zu dieser Zeit zwölf Stunden lang, die reine Arbeitszeit beträgt zehn Stunden. Die Kohle für die Veredlung wird von 1902 bis 1933/34 aus dem Tagebau Wachtberg I gewonnen. Um 1905 beträgt ihr Stundenlohn 32 Pfennige, bis 1914 klettert er auf 42 Pfennige.

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1200 Mitarbeiter

1920 haben die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. in Leverkusen die Regie auf dem Wachtberg übernommen. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigen die Brikettfabriken mit den dazugehörigen Tagebauen 1200 Mitarbeiter und produzieren jährlich rund 450 000 Tonnen Briketts. In den Folgejahren werden auf dem Werksgelände zwei zusätzliche Brikettfabriken errichtet. 1927 arbeiten auf dem Wachtberg bereits 61 Brikettpressen. 1937 speist Wachtberg den ersten Strom ins öffentliche Netz.

Große Probleme durch Weltkrieg

Der Zweite Weltkrieg stellt auch die Frechener Braunkohlenindustrie vor große Probleme. Wegen des Personalmangels muss der bislang hundertprozentige Männerbetrieb weibliche Arbeitskräfte einstellen. Obwohl von Bombentreffern weitgehend verschont, werden die Brikettpressen zeitweise stillgelegt.

Nach feindlichem Beschuss geht Anfang März 1945 der Stapelschuppen mit 25 000 Tonnen Briketts in Flammen auf. Außerdem ist der Kohlenausfahrtstunnel des Tagebaus gesprengt worden, somit eine Kohlenförderung unmöglich. Die Schäden werden relativ schnell wieder behoben. 1945 stellt die Fabrik auf dem Wachtberg 650 000 Tonnen Briketts her.

Tagebau Frechen wird erschlossen

Der Kohlenvorrat des Wachtbergs geht in den 50er-Jahren endgültig zur Neige, das Ende der Fabriken im Frechen-Türnicher Raum scheint zu nahen. Einen Ausweg bietet nur die Bündelung von Wissen und Kapital über alle bis dato geltenden Grenzen in Markscheiden hinweg auf einen zentralen Tagebau: den Tagebau Frechen.

Als Folge kommt es am 31. August 1950 zur Unterzeichnung eines Übernahmevertrages: Neuer Herr im Haus ist die Rheinische Aktiengesellschaft für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation (RAG) in Köln, die Rechtsvorgängerin der späteren Rheinbraun AG. Die Frechener Brikettfabriken werden in den Folgejahren organisatorisch zusammengefasst.

Entstaubung und Entschlammung

Nach 1950 modernisiert die RAG die Fabriken Wachtberg I bis V. So werden unter anderem Entstaubungs- und Entschlammungsanlagen eingebaut und die nunmehr 51 Pressen mit ihren insgesamt 67 Stempeln vom Sieben-Zoll- auf das Sechs-Zoll-Format umgestellt. Von 1951 bis 1953 wird der Bahnbetrieb elektrifiziert.

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Gruppenbild der Schichtarbeiter der Fabrik Wachtberg.

Ab 1967 liefert Wachtberg Fernwärme zum einen an die Hauptwerkstatt Grefrath, zum anderen an Einrichtungen in Grefrath und Habbelrath (Hallenbad, Schule, Feuerwehr). 1968 und 1969 werden die Pressen in den Fabriken II bis V von Dampf auf elektrischen Strom umgestellt. Die Werksleitung erhöht die Zahl der Pressstempel.

Wasserturm wird abgerissen

Das äußere Bild ändert sich 1971 grundlegend: Der alte Wasserturm, die ehemalige Lehrwerkstatt und der Baubetrieb werden abgerissen. An ihrer Stelle entstehen Bündel- und Palettierhalle, Umkleide- und Waschräume, Verladegleis. Ab 1986 betreibt die Fabrik Anlagen zur Herstellung und Verladung von Braunkohlenstaub, einem erfolgreichen, zukunftsträchtigen und bequem wie Öl zu handhabenden Industriebrennstoff – eine Reaktion auf die stetige Ab-wärtstendenz des Briketts im Hausbrandmarkt.

Modernisierung schreitet voran

Modernisierung und Ausbau schreiten auf dem Wachtberg auch in den Folgejahren voran. Nicht zu vergessen die erheblichen Investitionen in den Immissionsschutz: Die Entstaubung der Schlote wird ständig verbessert, seit Mitte der 80er-Jahre läuft ein großes Programm zur Lärmminderung.

Seit 1988 ist eine Schlammrückgewinnungsanlage im Einsatz: Sie filtert den Kohlenstaub aus dem Brauchwasser; das Wasser fließt in den Kreislauf der Fabrik zurück, der Kohlenschlamm dient als Brennstoff.

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Die letzte Sonderprägung aus der Brikettfabrik Wachtberg. Ende einer Ära.

Die Fabrik Frechen (Wachtberg und Carl) beschäftigte 1991 mehr als 950 Mitarbeiter und produzierte 1990 gut eine Million Tonnen Briketts, über 734 000 Tonnen  Braunkohlenstaub und 526 Millionen Kilowattstunden Strom. Seit 1995, dem Jahr der Stilllegung der Fabrik Carl, ist der Betrieb auf dem Wachtberg die letzte Brikettfabrik bei RWE und in ganz Westdeutschland.

Zum 100. Geburtstag auf neues Brikettformat umgestellt

Im Zuge dieser Betriebskonzentration wurde die Brikett-Bündelei auf dem Wachtberg 1994 um Technik fürs Bündeln und Verpacken von Zehn-Kilo-Paketen erweitert. Auch die 25-Kilo-Bündelkapazitäten wurden erweitert. Zum 100. Geburtstag wurden die Pressen auf dem Wachtberg auf ein neues Brikettformat umgestellt. Industrie und Privatkunden bekommen seit Mai 2001 statt der runden Zwei-Zoll-Briketts ovale Dreizöller.

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Eine Reihe von Sonderprägungen wurden in der Brikettfabrik Wachtberg gepresst.

Vor wenigen Jahren nahm die Fabrik zwei Industrieroboter als Teil der sogenannten Umpackanlage in Betrieb. Die beiden vollautomatischen Kollegen konfektionierten Briketts von 25-Kilo-Bündeln zu kleineren Bündeln um oder packten sie in Tüten – ganz nach den Wünschen des Handels. 2018 schuf RWE Power auf dem Gelände der Fabrik zusätzlichen Platz für die Zwischenlagerung von 40 000 Europaletten mit Briketts. Nur zwei Jahre später schuf das Kohleverstromungs-Beendigungsgesetz einen ganz neuen Rahmen auch für die Arbeit der Braunkohlenveredlung. Nach dem Stilllegungsfahrplan muss die Fabrik Frechen ab Ende 2022 auf 120 Megawatt elektrische Kraftwerksleistung verzichten – Energie, die der Aufbereitung und Trocknung des Rohstoffs Braunkohle und damit der Veredlung zu festen Brennstoffen künftig fehlt.

Ende Februar 2022 Herstellung der Sieben-Zoll-Briketts eingestellt

Als Folge wird die Herstellung von Briketts eingestellt. Mit einem ersten Schritt wurde Ende Februar 2022 die Herstellung der Sieben-Zoll-Briketts eingestellt. Die Produktion der hauptsächlich für Industriekunden bestimmten Drei-Zoll-Briketts wird noch bis Ende 2022 fortgesetzt. Die Fabrik Frechen hat seit ihrem Bestehen in 120 Jahren eine Gesamtproduktion von 117,78 Millionen Tonnen Briketts erreicht.

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Nach dem Ende der Brikettierung und bis zum endgültigen Datum des gesetzlichen Kohleausstiegs wird RWE Power in der Fabrik Frechen nur noch den begehrten Industriebrennstoff Braunkohlenstaub, Fernwärme für die HW-Grefrath und Strom herstellen.

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