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Kritik an BürgermeisternIst das noch Wirtschaftsförderung in Rhein-Erft oder schon Schleichwerbung?

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7 min
Brühls Bürgermeister Dieter Freytag ist Stammkunde in diesem Supermarkt.

Brühls Bürgermeister Dieter Freytag ist Stammkunde in diesem Supermarkt.

Verwaltungschefs pflegen Kontakte zu Unternehmen und Händlern. Die Darstellung solcher Besuche ist nach Expertenmeinung mitunter problematisch.

Im Mai besuchte Frechens Bürgermeisterin Susanne Stupp (CDU) eine neu eröffnete kieferorthopädische Praxis. Die Räume mit „drei hochmodernen Behandlungsplätzen“ seien „umfassend modernisiert“ worden, heißt es in einer Presseerklärung der städtischen Öffentlichkeitsarbeiter. Und weiter über den Arzt: „Durch seine langjährige Behandlungserfahrung an der Universitätsklinik Köln beherrscht er nicht nur die modernen Behandlungsmethoden mit außen- oder innenliegenden Zahnspangen oder quasi ,unsichtbaren‘ Alignern, sondern kann auch mit komplexen Behandlungsaufgaben qualifiziert umgehen.“

Frank Keppeler, Stupps Amtskollege aus Pulheim, zeigte sich im Juli mit dem Besitzer eines Reisebüros auf einem Foto. Zum 25-jährigen Bestehen gratulierte der CDU-Bürgermeister. Nachher war auf verschiedenen Kanälen der städtischen Pressestelle zu lesen, dass das Reisebüro Pauschalreisen, Kreuzfahrten und Flüge als auch Ferienwohnungen und sogar Campingurlaub anbiete. Wer mehr erfahren wolle, müsse nur auf dessen Homepage gehen.

Eine Dusche und eine Toilette sind ebenso immer enthalten, wie auch ein Vorzelt, eine Markise, eine Anhängerkupplung, ein Fahrradträger und die Küche
Carolin Weitzel

Die Reisebranche stand ebenfalls im Juli auch bei Erftstadts Bürgermeisterin Carolin Weitzel (CDU) im Fokus. Sie stattete dem neuen Vertriebsstandort eines französischen Herstellers von Wohnmobilen einen Besuch ab. Dem begleitenden Text unter der Überschrift „Französisches Flair in Liblar“ ist zu entnehmen: „Auf Basis des Renault Trafic soll es den Urlauber:innen nicht an Komfort mangeln: eine Dusche und eine Toilette sind ebenso immer enthalten, wie auch ein Vorzelt, eine Markise, eine Anhängerkupplung, ein Fahrradträger und die Küche.“

Wenige Tage zuvor hatte Weitzels Pressestelle mitgeteilt, dass auf dem Viry-Châtillon-Platz künftig ein mobiler Eiswagen stehe. Er gehöre demselben Mann, der am Lechenicher Markt bereits das Eiscafé „La Piazza“ betreibe.

Bürgermeisterin Carolin Weitzel besuchte einen Vertrieb von Wohnmobilen in Erftstadt.

Bürgermeisterin Carolin Weitzel besuchte einen Vertrieb von Wohnmobilen in Erftstadt.

Bergheims Bürgermeister Volker Mießeler (CDU) wiederum lobte 2024 bei einem seiner Unternehmensbesuche die Firma WASEL GmbH für ihr „herausragendes Verantwortungsbewusstsein und ihre durchgängige Sicherheitsphilosophie“. Deren Qualitäten in der Schwerlast- und Kranbranche schätzten „nicht nur die Kunden in Industrie, Petrochemie und diversen weiteren Wirtschaftsbereichen, sondern auch wir als Kreisstadt“, ließ der Politiker weiter wissen.

Brühls Rathauschef Dieter Freytag (SPD) gestand in der städtischen Berichterstattung über einen umgebauten Supermarkt, dass er selber Stammkunde sei und er sich freue, dass der „in so neuem Glanz erstrahlt und seine Vielfalt dabei nicht verloren, sondern sogar noch erweitert hat“. Getreu dem Motto: „Größer, moderner, heller“ seien ein „großer Marktplatz für Obst und Gemüse, eine erweiterte und modernisierte Markttheke mit Meistermetzgerei und einem vielfältigen Fisch- und Käseangebot, eine Marktbäckerei sowie ein besonderes Frischeangebot mit Spezialitäten aus eigener Herstellung“ entstanden.

Und Elsdorfs Bürgermeister Andreas Heller (CDU) ließ über seine Pressestelle im September über seinen Baustellenbesuch in einem ehemaligen Modehaus berichten. Dort entstehe eine „hochmoderne Zahnarztpraxis“. Die Macher stünden für ein „modernes und zukunftsorientiertes Praxiskonzept“, betonte Heller.

Aber dieses Mandat darf nicht für kommerzielle Werbung zweckentfremdet werden
Markus Ogorek

Professor Dr. Markus Ogorek betrachtet die geschilderten Aktivitäten durchaus mit Skepsis. Zwar verböten sich pauschale Aussagen, da sich Bürgermeister in einem gewissen Spannungsverhältnis befänden: „Sie haben eine Doppelrolle, sie sind zum einen Verwaltungschefs, zum anderen auch Repräsentanten ihrer Kommune“, sagt der Direktor des Instituts für öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln.

So könne im Rahmen der legitimen Wirtschaftsförderung der Besuch eines neu eröffneten Cafés oder aus Anlass eines Firmenjubiläums gerechtfertigt sein. „Es gehört ja gerade auch zur Aufgabe von Bürgermeistern, mit den lokalen Akteuren im Austausch zu stehen – und dazu gehören natürlich auch Betriebe.“

Öffentlichkeitsarbeit von staatlichen Stellen dürfe keinen werblichen oder Partei ergreifenden Charakter haben

Aber diese Handhabung wird aus Ogoreks Sicht dann kritisch, wenn die Bürgermeister bei der Veröffentlichung im Gemeindeblatt, auf Facebook oder auf der städtischen Homepage durch Form und Inhalt den Eindruck erweckten, sie betrieben gezielte Werbung. Er sagt: „Richtig ist, dass die Gemeinden ein Mandat zur Öffentlichkeitsarbeit haben. Aber dieses Mandat darf nicht für kommerzielle Werbung zugunsten privater Unternehmen zweckentfremdet werden.“

Öffentlichkeitsarbeit von staatlichen Stellen dürfe keinen werblichen oder Partei ergreifenden Charakter haben. Das hätten Gerichte in verschiedenen Zusammenhängen entschieden und ergebe sich aus einem Zusammenspiel von Kommunalrecht, Grundgesetz und Wettbewerbsrecht.

Problematisch seien deshalb Äußerungen oder Detailinformationen zu Produkten. Beispielsweise wie „Kaffee und Kuchen vom Feinsten – kommen sie mal vorbei!“ Oder auch Lobeshymnen. Sobald der Bürgermeister nicht nur sachlich berichte, sondern aktiv anpreise, überschreitet er nach Ogoreks Ansicht eine Grenze. Und zwar die zur Image- oder Produktwerbung.

Auf Werbung könne beispielsweise hindeuten, dass konkrete Geschäftsinformationen wie Öffnungszeiten oder Telefonnummern genannt oder Fotos vom Bürgermeister und der Belegschaft gezeigt würden – wie es bei Mießeler und Freytag der Fall ist. Problematisch sei auch eine Domainverlinkung, so wie es beispielsweise Keppeler in Pulheim handhabt.

Einen Automatismus für solche Besuche dürfe es nicht geben

Schließlich gelte für Bürgermeister ein Sachlichkeits-, Neutralitäts- und Zurückhaltungsgebot. All das schließe eine einseitige Hervorhebung einzelner Betriebe aus – es sei denn, es gebe eine sachliche Begründung dafür. Fehle die, komme es zu einer unzulässigen Begünstigung, Konkurrenzbetriebe würden übergangen.

Was aber ist ein „triftiger Grund“ für solche Bürgermeister-Termine? Hier gebe es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung, sodass die Umstände des Einzelfalls entscheiden, zu denken sei aber zum Beispiel an Firmenjubiläen. Daher hält der Rechtswissenschaftler es für wichtig, dass es in den Rathäusern „eine strukturierte Vorgehensweise anhand eines Kriterienkatalogs gibt“.

Markus Ogorek ist Direktor des Instituts für öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln.

Markus Ogorek ist Direktor des Instituts für öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln.

Denn: Ein willkürliches Vorgehen dürfe es für solche Besuche und deren öffentliche Bekanntmachung natürlich nicht geben. Konkret: Kommt der Bürgermeister zu allen Neueröffnungen? Besucht er alle, die das wünschen? Wenn es keine transparenten Auswahlkriterien gebe, mache sich ein Bürgermeister angreifbar. Ogorek unterstreicht: „Hier gelten strenge Maßstäbe.“

Und diese müssten erkennbar gemacht werden: Durch einen Transparenzhinweis in Berichten über Unternehmensbesuche könnten mögliche kritische Fragen abgemildert werden. Seiner Ansicht nach „leben wir ja in einer Zeit, in der staatlichen Repräsentanten immer wieder und in unterschiedlichen Kontexten Neutralitätsverstöße vorgeworfen werden . Da müssen alle aufpassen, dass das Vertrauen in eine faire und unparteiische Verwaltung nicht leidet, gerade auch auf kommunaler Ebene“.

Volker Mießeler informierte sich in Bergheim über die Geschäfte in der Schwerlast- und Kranbranche.

Volker Mießeler (l.) informierte sich in Bergheim über die Geschäfte in der Schwerlast- und Kranbranche.

Und diese müssten erkennbar gemacht werden: Durch einen Transparenzhinweis in Berichten über Unternehmensbesuche könnten mögliche kritische Fragen abgemildert werden. Seiner Ansicht nach „leben wir ja in einer Zeit, wo von manchen Leuten oder Gruppierungen alles Staatliche in Frage gestellt wird. Da müssen alle aufpassen, dass das Vertrauen in eine faire Verwaltung nicht leidet, zuvorderst die Bürgermeister selbst“.

Von einer Gratwanderung spricht auch Eberhard Kanski vom Steuerzahlerbund NRW. Wie Ogorek verweist er auf das Neutralitätsgebot, zu dem Wahlbeamte verpflichtet seien. Das treffe auf Richter und Lehrer ebenso zu wie auf Bürgermeister. Auch wenn er das Motiv verstehe, Einzelhandel und den jeweiligen Wirtschaftsstandort zu stärken, könne es ein „Geschmäckle“ haben, wenn Bürgermeister allzu offensiv Betriebe und Geschäftsleute in den Vordergrund stellen.

Ihnen kann ja kaum etwas Besseres passieren, als dass der erste Bürger der Stadt zu ihnen kommt und ein Loblied auf sie hält
Eberhard Kanski

Sie müssten schließlich immer bedenken, dass es eben nicht nur ein Café oder eine Bäckerei gebe, und sie Begehrlichkeiten weckten. Aus Sicht der Unternehmer kann er verstehen, dass sie ein großes Interesse daran haben, durch den Besuch des Bürgermeisters entsprechend Öffentlichkeit zu erhalten. „Ihnen kann ja kaum etwas Besseres passieren, als dass der erste Bürger der Stadt zu ihnen kommt und ein Loblied auf sie hält“, folgert Kanski. „Zumal es sie nicht einen Cent kostet.“

Darin sieht Politikwissenschaftler Ogorek ein weiteres Problem. Unternehmen, die mit Werbung ihr Geld verdienen, würden durch die „grenzwertige Auslegung von Öffentlichkeitsarbeit“ der Stadtverwaltungen benachteiligt.

Frank Keppeler gratulierte in Pulheim zum 25-jährigen Bestehen eines Reisebüros.

Frank Keppeler gratulierte in Pulheim zum 25-jährigen Bestehen eines Reisebüros.

Und was sagen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister? Eine Sprecherin von Bergheims Bürgermeister Volker Mießeler (CDU) sagt: „Solche Besuche gehören für einen Bürgermeister in seiner Funktion als Hauptverwaltungsbeamter zu den ureigenen Aufgaben der Verwaltung.“ Ein unmittelbarer Kontakt zur örtlichen Wirtschaft sei gerade auch im Hinblick auf den Strukturwandel in der Region von besonderer Bedeutung. Im vergangenen Jahr habe Mießeler zwölf Betriebe aus ebenso viel unterschiedlichen Branchen besucht.

Ziel dieser Besuche sei es, dass sich Unternehmen mit der Stadt und deren Institutionen vernetzen und identifizieren. Die Stadt wiederum nehme Probleme auf und  biete Hilfestellungen und Unterstützungen. Eine Bewerbung konkreter Dienstleistungen oder Produkte erfolge in diesem Rahmen nicht.“ Zu keiner Zeit verstoßen die Betriebsbesuche gegen das Neutralitätsgebot“, versichert Mießeler Sprecherin.

Antwort aus dem Frechener Rathaus fällt knapp aus

Aus dem Pulheimer Rathaus heißt es wiederum auf Anfrage, dass Bürgermeister Frank Keppeler (CDU) Unternehmen regelmäßig besuche – aber nur auf deren Einladung und aus besonderen Anlässen: Das könnten Firmenjubiläen oder Neueröffnungen sein. Keppeler vertrete dabei die Wirtschaftsförderung. Fragen nach möglichen Konflikten mit dem Wettbewerbsrecht und dem Neutralitätsgebot ließ Keppeler unbeantwortet.

Brühl noch amtierender Bürgermeister Dieter Freytag (SPD) sieht das Gebot der Neutralität wie auch des Wettbewerbs bei seinen Firmenbesuchen und der Berichterstattung des Rathauses darüber als gewahrt. Für die Auswahl gebe es verschiedene Kriterien wie beispielsweise innovative Konzepte, erhaltene Preise oder auch große Investitionen. Zum Teil lüden Firmen ein, zum Teil würden diese auch von der Verwaltung vorgeschlagen, teilte eine Sprecherin der Brühler Stadtverwaltung mit.

Knapp fällt die Antwort aus dem Frechener Rathaus auf die Frage nach den Kriterien für Unternehmensbesuche und mögliche Interessenskonflikte aus: „Das Neutralitätsgebot ist in Frechen gewahrt. Die Gespräche mit Firmenverantwortlichen sind politisch neutral, sie werden objektiv und unparteiisch geführt. Ebenso objektiv wird hierüber berichtet.“

Jurist Markus Ogorek macht hinter diesen letzten Satz ein dickes Fragezeichen.