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Interview

Schriftstellerin Kathrin Röggla
„Nur Gelabere geht mir auf den Keks“

6 min

 Kathrin Röggla in der KHM

Schriftstellerin Kathrin Röggla spricht in„Das andere Gespräch“ über das Radio und seine Aufgaben; übers Zuhören und lange Autofahrten.

Frau Röggla, Sie haben sich das Thema Radio ausgesucht. Wo hören Sie denn am liebsten Radio?

Am liebsten höre ich Radio, wenn ich Auto fahre. Jetzt in der Urlaubszeit ist man als Familie leider häufig aufs Auto angewiesen. Ich fahre oft in meine Heimat nach Österreich, da mag ich es, wie nach und nach die Sender und die Programme wechseln. Am Anfang höre ich noch den WDR, dann ist man beim Hessischen Rundfunk, dann beim Bayerischen, dann bei den österreichischen Sendern.

Was gefällt Ihnen daran?

Was ich daran liebe, ist, dass ich auf Dinge stoße, die ich mir nicht ausgesucht habe. Ich kriege auf einmal eine ganze Welt von Themen. Ich schalte rein und der Zufall entscheidet, wo ich lande. Öffentlichkeit als Ort der zufälligen Begegnung, das gibt es nur noch selten. Das kann eine Wirtschaftssendung sein, das können Hörspiele sein oder Features oder Gesprächssendungen.

Wo hören Sie denn am liebsten zu?

Das kann ich gar nicht sagen. Ich mag gerne Reisereportagen und Hörspiele, die mich in andere Situationen führen. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich hochschwanger nachts aus dem Allgäu nach Berlin fahren musste und eine „Lange Nacht der Sufis“ oder so ähnlich lief. Diese Sufi Klänge und Gesänge auf der Autobahn, das war unerwartet großartig.

Hören Sie denn auch Musik im Radio?

Selten. Mein Leben ist stark von Wort und Sprache geprägt, und wenn ich die Zeit habe, Radio zu hören, dann sind es eher Wortbeiträge, aber irgendwann muss es auch einfach nur Musik sein. 

Wann schalten Sie um?

Wenn ein Thema zu sehr an der Oberfläche bleibt oder ein Gespräch über Allerweltsdinge geführt wird, finde ich es meistens nach einer Zeit uninteressant. Einfach nur Gelabere geht mir schon sehr auf den Keks.

Sind Sie eine gute Zuhörerin?

Eigentlich würde ich gerne eine gute Zuhörerin sein. Manchmal kann ich es aber nicht. Aber was heißt eigentlich gutes Zuhören? In einer Diktatur der Obrigkeit zuzuhören, ist vielleicht kein gutes Zuhören. Meinem Gegenüber im direkten Gespräch zuhören, ist nicht eine Frage der Höflichkeit, sondern auch eine Frage des sozialen Miteinanders. Die erste Regel beim Dialogschreiben fürs Theater ist: Die Leute hören sich nicht zu. Wir denken zwar, dass wir uns zuhören, tun es aber eigentlich nur zum Teil, weil wir auf unserer eigenen Spur bleiben. Weil wir selber Dinge sagen wollen. Zum Beispiel in einem Streitgespräch, wo ich natürlich meine Position rüberbringen will, und mir schwertue, die andere Position wahrzunehmen.

Ist das Radio ein Medium, mit dem Sie groß geworden sind?

Absolut. Bei uns war das Ö3, die popkulturelle Variante vom ORF. Das war wohl auch ein Zugeständnis an uns Kinder. Mit dem Radiowecker bin ich jeden Morgen aufgestanden, auch beim Frühstück lief das Radio. Es lief eigentlich immer. Das mochte ich sehr. 

Haben Sie bestimmte Ereignisse der Geschichte auch im Radio mitverfolgt?

Am 11. September 2001 bin ich mit einer Freundin durch New York gelaufen. Wir waren in Lower Manhattan, also ganz nah dran, als das erste Flugzeug in das World Trade Center flog. Aber wir wussten nicht, was los ist. Vor den Geschäften liefen Radiosendungen, die Menschen haben sich da versammelt, da gab es die ersten Informationen. Zuerst hieß es, sechs Flugzeuge sind noch in der Luft. Wir sind sofort losgelaufen, ziellos, immer Richtung Hudson River. Die Erlebnisse habe ich in meinem Buch „really ground zero“ verarbeitet.

Bevor Sie Schriftstellerin und Dozentin wurden, haben Sie selbst mal fürs Radio gearbeitet.

Das war beim Bayerischen Rundfunk. Obwohl ich nie in Bayern gelebt habe. Da haben wir Ende der 90er und in den Nullerjahren sehr viel experimentiert, es gab es viele schöne Formate und Hörspiele. Gerade die Zusammenarbeit mit Tonmeistern in experimentellen Formaten habe ich noch sehr in Erinnerung. Fürs Radio baut man akustische Räume, mit Klängen und Geräuschen, nicht nur mit einer Stimme, die in ein Mikro spricht, wie das bei Podcasts heute oft verstanden wird. In den letzten zwei Jahren war ich dann Rundfunkrätin beim RBB. Das ist ein Ehrenamt und dazu da, eine demokratische Kontrollfunktion auszuüben.

Was macht man als Rundfunkrätin?

Zum einen wählt man die Intendanten, und den Verwaltungsbeirat, es ging um den Medienstaatsvertrag. Dann gibt es eine schwache programmliche Kontrolle über die Auseinandersetzung mit den Programmbeschwerden, und es gilt, die inhaltliche Entwicklung des Senders zu begleiten. Das sind sehr wichtige, schwere Aufgaben, die auch überfordern. Gerade im Moment, wo sich der ganze öffentlich-rechtliche Rundfunk im Umbau befindet.

Würden Sie sagen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk befindet sich in einer schwierigen Lage?

Ja, viele haben massive Geldprobleme, unter anderem durch Inflation und Tarifsteigerungen. Und dann gibt es ein Legitimationsproblem. Wenn Politiker populistisch sein wollen, greifen sie zuerst den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an: Die Rundfunkgebühren müssen niedriger sein, er gehört abgeschafft. Leider wirkt es auf mich so, als dominiere bei der ARD mittlerweile ein reines Vertriebsdenken. Dass man möglichst viele Leute und möglichst junge Leute erreichen muss, ähnlich wie die privaten Sender. Aber es gibt einen Programmauftrag und einen Bildungsauftrag, der im Gesetz steht. Mittlerweile wird jede Sitzung mit der Quotenfrage begonnen. Ich wünsche mir, dass Redaktionen wieder mehr eigene Macht bekommen.

Was würde unserer Gesellschaft denn am meisten fehlen, wenn es das Radio nicht mehr gäbe?

Vielseitige, vielschichtige Informationen und eine kritische Berichterstattung. Man braucht nur in die USA zu schauen, um zu sehen, was passieren kann, wenn es nur noch in die eine Richtung geht. Ich muss darauf vertrauen können, dass die Sachen, die mir berichtet werden, auch einen faktischen Wert haben und nicht erfunden sind. Radio ist eine demokratische Instanz, die uns hilft, Demokratie zu wahren. Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir ein Korrektiv zur Politik und anderen Instanzen haben.

Wie kann das Radio seinem Bildungsauftrag nachkommen?

Es sollte sehr unterschiedliche Formate geben. Radio ist ein Ort, wo alles Mögliche stattfinden kann. Ich bedauere, dass vor allem Kunst als so elitär verstanden wird. Gerade aus der Kunst kann man lernen, wie viele verschiedene Register möglich sind.

Glauben Sie, dass der Podcast in der Zukunft dem Radio den Rang abläuft?

Ich sehe das nicht als getrennte Räume, das fließt ja schon ineinander. Die Chance des Podcasts ist die Länge, die man im Radio nicht immer hat. Ich muss zugeben, dass ich in die Podcastwelt erst eingestiegen bin, als ich mich vor einem Jahr im Fitnessstudio angemeldet habe. Körpermanagement passt zu Algorithmenmanagement, oder? Aber unterwegs bevorzuge ich immer noch das lineare Radio - und lasse den Zufall entscheiden.


Zur Person

Kathrin Röggla (geboren 1971 in Salzburg) ist Schriftstellerin und Theaterautorin. Seit 1988 steht sie aktiv in der literarischen Öffentlichkeit. Seit 2020 ist sie Professorin für „Literarisches Schreiben“ an der Kölner Kunsthochschule für Medien. 2023 erschien ihr Roman „Laufendes Verfahren“, in dem sie den NSU-Prozess literarisch verarbeitet, für den sie mit dem Heinrich-Böll-Preis der Stadt Köln ausgezeichnet wurde.

Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern im Eigelsteinviertel, wo sie die „Änderungsschreiberei“, gleichermaßen Non-Profit Galerie und Veranstaltungsort, betreiben.