Karneval mit MaskeKölner Gesundheitsamtsleiter besorgt über Lage in Krankenhäusern

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Seit März gilt in vielen Bereichen keine Maskenpflicht mehr. Vorbei ist die Pandemie dadurch aber noch nicht.

Seit März gilt in vielen Bereichen keine Maskenpflicht mehr. Vorbei ist die Pandemie dadurch aber noch nicht.

Köln – Mit einer 7-Tage-Inzidenz von 572 liegt Köln momentan unter dem Bundesschnitt von 760. „Es gibt eine hohe Dunkelziffer“, sagt Gesundheitsamtsleiter Dr. Johannes Nießen. Er rechnet mit zwei- bis dreimal so vielen Infektionen. Die Dunkelziffer bei Kindern und Jugendlichen wird als besonders hoch eingeschätzt.

„Bei ihnen wird oft nur ein Selbsttest zu Hause gemacht, der nicht durch ein PCR-Ergebnis bestätigt wird“, sagt Dr. Barbara Grüne, Leiterin des Corona-Fallmanagements im Kölner Gesundheitsamt. Das liegt auch daran, dass weniger offiziell getestet wird. Vor ein paar Monaten waren es in Köln täglich noch 80.000 bis 100.000 Bürgertestungen, aktuell sind es nur noch 8000 bis 10.000 Tests pro Tag.

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Aktuelle Erkenntnisse aus dem Kölner Abwasser

Seine Erkenntnisse zur Dunkelziffer gewinnt das Gesundheitsamt aus dem so genannten Abwasser-Monitoring. Dabei wird seit Oktober 2021 das Kölner Abwasser auf Rückstände des Virus untersucht (wir berichteten). „Man kann daraus erkennen, dass die Herbstwelle jetzt so richtig an Fahrt gewinnt“, sagt Nießen. Die Auswertung wird von einem Labor in Karlsruhe übernommen „Das ist ein gutes Früh- und Entwarnsystem. Quasi ein Pooltest, der auch noch wenig kostet“, so Nießen. „Wenn man zweimal in der Woche das Kölner Abwasser überprüft, kostet das 1000 Euro, also 4000 Euro im Monat. Wenn man das mit den Testkosten vergleicht, ist das überschaubar wenig.“ Das Konzept interessiert auch die Bundesregierung: Nießen lieferte die Daten nach Berlin, bundesweit soll bald zwei Drittel des Abwassers untersucht werden.

Corona-Lage in den Krankenhäusern

Sorge machen dem Gesundheitsamtsleiter die täglichen Statusmeldungen aus den Krankenhäusern: „Wir haben es mit einem deutlichen Anstieg zu tun. Nicht nur Patientinnen und Patienten sind betroffen, sondern auch das Personal.“ Mindestens sieben Neupatienten kommen pro Tag ins Krankenhaus. „Ein großes Kölner Krankenhaus musste in dieser Woche bereits die Zahl der Beatmungsplätze halbieren, da so viel Personal wegen einer Corona-Erkrankung ausgefallen ist. Das stimmt mich schon sorgenvoll.“ Auch die Zahl der infizierten Bewohner von Pflegeheimen und deren Mitarbeitern steige.

Zahlen rund um Corona und das Gesundheitsamt

450.000 Infektionen mit dem Coronavirus hat das Kölner Gesundheitsamt seit Beginn der Pandemie registriert. Mittlerweile fließen nur noch positive PCR-Tests in diese Statistik ein. 1111 Menschen sind in Köln bislang an oder mit dem Coronavirus verstorben. Die 1000er-Marke wurde im März erreicht. 22 Studien rund um das Coronavirus hat das Gesundheitsamt gemeinsam mit Institutionen wie der Universität zu Köln, der Deutschen Sporthochschule oder der Uniklinik durchgeführt. Mit dem Fraunhofer Institut hat das Gesundheitsamt etwa schon im früheren Verlauf der Pandemie die Stadtteil-Inzidenzen entwickelt – die Grundlage für die Errichtung von Teststationen und mobilen Impfangeboten. Andere Studien drehen sich um Long-Covid oder den Umgang mit Quarantäne und Isolation. 4 Kölner sind Teil des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. Neben Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sind das Christian Karagiannidis (ARDS- und ECMO-Zentrum Köln-Merheim), Jörg Dötsch (Kinder- und Jugendmediziner Uniklinik) und Gesundamtsleiter Johannes Nießen. „Es macht Freude, unsere Erkenntnisse von Köln aus in die Republik zu tragen und in Berlin vorzustellen “, sagt Nießen. 2000 Menschen hat das Gesundheitsamt in der Coronakrise eingestellt. Mittlerweile sind immer noch 600 zusätzliche Mitarbeiter beschäftigt, hautsächlich in Teilzeit. (sim)

Ausblick auf Herbst und Winter

Schon jetzt steht fest: Das günstigste Szenario, das der Corona-Expertenrat der Bundesregierung ausgearbeitet hat, wird nicht eintreffen. Die Infektionszahlen werden in den nächsten Monaten steigen. Allerdings ist bisher auch keine neue Virusvariante auf dem Vormarsch, bei der mit erhöhter Ansteckung und Krankheitsschwere zu rechnen ist. „Wir sind mit Impfen, Testen, Masken und spezieller Behandlung ganz gut aufgestellt“, sagt Nießen. „Die Maskenpflicht wird wahrscheinlich schon im Herbst ausgeweitet werden auf Restaurants oder Veranstaltungen. Das ist aber eine Entscheidung auf Landesebene.“ Die Maske sei ein Mittel, das immer helfe.

Besonderer Schutz der vulnerablen Gruppen

Vor allem auf den Schutz gefährdeter Gruppen legt die Stadt weiterhin besonderen Wert. „Wir sortieren alle eingegangen Meldungen nach Alter und Vorerkrankungen. Wir rufen Menschen über 70 Jahre an und fragen nach ihrem Gesundheitszustand, um die Versorgungslücke zu schließen“, erklärt Barbara Grüne. Sollte es der Zustand erfordern, schickt das Gesundheitsamt etwa einen Notarzt oder Ärzte, die Vitalparameter erheben. „Manch einer merkt gar nicht, dass die Sauerstoffsättigung schon stark abgefallen ist. Wir versuchen damit die Kliniken zu entlasten.“ Das System habe sich bewährt, sagt Nießen. „Andere deutsche Großstädte machen das so nicht.“ Auch deshalb sei die Sterberate bei Corona-Infizierten in Köln deutlich geringer als anderswo. Außerdem schickt das Gesundheitsamt weiterhin anlassbezogen Abstrich-Teams in Pflegeheime und andere Einrichtungen.

Karneval? Am besten nur mit Maske

Großereignissen wie dem Elften im Elften sieht Johannes Nießen skeptisch entgegen. „Vor ein paar Monaten haben wir mit der Oberbürgermeisterin und den Karnevalistinnen und Karnevalisten noch ganz entspannt darüber gesprochen. Da war eigentlich die Aussicht, dass wir das ganz gut hinbekommen ohne Maskenpflicht. Jetzt ist die Lage ein bisschen anders geworden, wenn man die Zahlen im Nachgang des Oktoberfestes sieht. Wir müssen auf jeden Fall die Entwicklung der Infektionszahlen im Blick behalten und gegebenenfalls nachsteuern. Das werden wir uns auch für Karneval nochmal genau anschauen. Vielleicht wären Maßnahmen wie das Maskentragen auf engem Raum eine Überlegung wert.“

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Nießen appelliert an die Eigenverantwortung und Vorsicht jedes Einzelnen. „Man sollte sich darüber klar sein, welche Konsequenzen das hat. Je älter man wird, desto eher würde ich die Erkrankung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Karneval im Altenheim würde ich mit Maske empfehlen.“ Auch jeder Fall von Long-Covid sei einer zu viel. Ob er selbst feiern wird? „Ich bin zurückhaltend und vorsichtig“, sagt Nießen.

Zweite Booster-Impfung in Köln mehr nachgefragt

Heute startet eine neue mediale Impfkampagne des Bundes. Auch Nießen wirbt für doppelten Schutz: „Wir empfehlen, sich die Grippeimpfung und die zweite Booster-Impfung geben zu lassen“, sagt er. Geimpft wird vom Gesundheitsamt nach Stiko-Empfehlung: Termine machen können Menschen ab 60 Jahren. Der Zulauf habe sich mit dem angepassten Impfstoff sogar verzehnfacht. 300 bis 350 Menschen werden aktuell pro Tag im Gesundheitsamt geimpft. Auch der Impfbus fährt weiter durch Köln, aktuell sind es 30 bis 50 Impfungen pro Stop.

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