Das Kölner Literaturfestival lädt wieder zur kleinen Herbstausgabe ein. Zum Auftakt der „lit.COLOGNE spezial“ gastierte Caroline Wahl im WDR-Funkhaus mit ihrem Roman „Die Assistentin“.
„lit.COLOGNE spezial“Caroline Wahl liest aus „Die Assistentin“ und spricht über Grenzüberschreitungen

Caroline Wahl erzählt in „Die Assistentin“ vom Machtmissbrauch eines Münchener Verlegers.
Copyright: Thomas Banneyer
An Caroline Wahl kommt zurzeit kaum jemand vorbei. Die 30-jährige Autorin schaffte mit ihrem Debütroman „22 Bahnen“ 2023 einen Überraschungsbestseller. Aktuell flackert die Geschichte über die beiden Schwestern Tilda und Ida und ihren Weg aus prekären Verhältnissen ins Leben über die Kino-Leinwände. Auch der Nachfolger „Windstärke 17“ wurde im Jahr darauf ein großer Erfolg. Nun frisch erschienen Wahls neuestes Werk „Die Assistentin“.
Mit diesem gastierte sie zum Auftakt der „lit.COLOGNE spezial“ im ausverkauften Klaus-von-Bismarck-Saal im WDR-Funkhaus. Moderiert wurde die Lesung von Literaturvermittlerin Emily Grunert, die unter anderem das Literaturbüro NRW in Düsseldorf leitet. Die beiden Frauen verbindet eine Freundschaft seit dem Beginn von Wahls literarischer Karriere - und das wird an diesem Abend in der lockeren Vertrautheit ihres Gesprächs auch fürs Publikum schnell deutlich.
Online-Hass tritt Diskussion los
Doch bevor es um den Roman gehen kann, muss über Wahls Ferrari gesprochen werden. „Es ist so schön, mit dem Auto zu reisen“, schwärmt sie direkt zu Beginn. Ein großer Teil des Publikums versteht die Anspielung. Geht es doch online und in deutschen Feuilletons und Talkshows aktuell mehr um die Person Caroline Wahl als um ihr schriftstellerisches Werk. Insbesondere Frauen hatten ihr vorgeworfen, keine authentische Perspektive über das Thema Armut einnehmen zu können, weil sie ihre Vorliebe für teure Sportwagen öffentlich gemacht hatte. „Anfangs war es sehr hart, weil auch viel Hass kam“, gibt Wahl zu. Denn hinzu kamen Beleidigungen über ihr Äußeres, insbesondere ihre Frisur. Doch ihre Verletztheit habe sich inzwischen in Wut und Energie verwandelt. Der Diskurs behandelt nun vielmehr die Frage, wie die Gesellschaft mit weiblichem Erfolg umgeht. Mit etwas Galgenhumor sagt Wahl: „Ich freue mich, dass so viele gerne über mich sprechen und diskutieren.“ Und überhaupt strotzt sie vor Selbstbewusstsein und kündigt deswegen ihren Kritikern einfach schon einmal den vierten Knaller-Erfolg an: „Bald kommt der nächste Banger - und fertig.“
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Doch erst einmal ist sie mit „Die Assistentin“ auf Lesereise. Darin geht es um die Berufseinsteigerin Charlotte, die aus Köln wegzieht, um einen Job in einem Münchener Verlag anzunehmen. Als Assistentin eines narzisstischen Verlegers kommt sie nicht mit Literatur, dafür mit allzu privaten Wünschen ihres Chefs in Berührung. Es ist ein Protokoll des Machtmissbrauchs, des schleichenden Prozesses von ungesundem Abhängigkeitsverhältnis und diffusen Grenzüberschreitungen. Charlottes Eltern haben ihr eine Durchhaltementalität anerzogen, die dazu beiträgt, dass sie immer tiefer in diese Job-Hölle hineingerät. „Es führte kein Weg daran vorbei, diesen Text jetzt zu schreiben“, betont Wahl, weil diese Geschichte vielen Frauen passiere. Außerdem habe sie die Perspektive interessant gefunden. Wenn sie über ihre Romanfiguren spricht, wirken sie wie lebendige Wesen, mit denen sie „loszieht“. „Ich wollte mal einer Figur folgen, die nicht so klar wie Tilda ist, sondern ambivalent wie Charlotte.“
Allwissende Erzählstimme war nötig
Doch der Schreibprozess sei dadurch ein ganz anderer gewesen, zum Teil zermürbend. Grunert attestiert Wahl, im Gegensatz zu ihren ersten beiden Werken nun eine andere Sprache gefunden zu haben. Denn der Roman hat eine Metaebene, eine allwissende Erzählstimme, die Dinge vorwegnimmt, die aber auch immer mal wieder den Schreibprozess, die Erzählweise und die Rezeption hinterfragt, im Verlauf immer mehr Raum einnimmt. Das sei nötig gewesen, sagt Wahl, sie habe das als Distanz zu Charlottes Geschichte gebraucht. Für etwas Leichtigkeit gönnte sie sich und ihrer Roman-Heldin eine kleine Liebesgeschichte am Rand. „Dabei wollte ich partout keine Liebesgeschichte erzählen“, sagt Wahl verschmitzt und erntet Lacher aus dem Publikum.
Ob sie nicht wütend sei, dass so wenig über den Inhalt ihres Romans gesprochen werde, fragt Grunert und kehrt damit am Ende noch einmal auf den Shitstorm zurück. Gewünscht hätte sie sich einen Diskurs über Machtmissbrauch, über kollegiale Solidarität, sagt Wahl: „Dass stattdessen über meinen Pony und meinen Ferrari diskutiert wird, ist halt scheiße, aber dann sind es die Leute auch selbst schuld. Ich werde nicht noch so einen Text schreiben.“ Deswegen lautet ihr Appell ans Publikum, die Chance zu ergreifen, dieses wichtige Thema anzugehen. Oder wie Wahl es deutlich sagt: „Lest doch einfach mal den Text!“