Die deutsch-belgischen Beziehungen im und nach dem Zweiten Weltkrieg waren schwierig. Einige Orte in der Eifel wechselten mehrfach die Flagge.
80 Jahre KriegsendeAn Bollenien erinnert in der Eifel heute fast nichts mehr

Die ehemalige Zollstation stand bis vor wenigen Jahren am Rand der Bundesstraße bei Miescheid.
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Die Auslandsreise ist für die Menschen in der Nordeifel oft nur wenige Kilometer entfernt. Denn die belgische Grenze ist nah. So nah, dass viele die Nachbarschaft gern für einen Restaurantbesuch, einen Einkaufsausflug oder für einen Wandertag nutzen. Zumal Ostbelgien auch sprachlich wenig Umstellung erfordert.
In der DG, der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, ist Deutsch Amtssprache, verwandtschaftliche Beziehungen über die Staatengrenze hinweg sind nicht selten. Oder wie drückte es ein Feuerwehrmann beim Brand des Hohen Venns 2011 aus, als er nach der Kommunikation mit den belgischen Kameraden gefragt wurde: „Manche von uns konnten Französisch, manche von denen Deutsch. Aber die meiste Zeit haben wir Eefeler Platt jesproche.“
Der deutsch-belgische Beziehungsstatus war oft schwierig
Doch so selbstverständlich wie heute war das Verhältnis nicht immer. Oft stand der Beziehungsstatus auf schwierig. Über die deutsch-belgischen Beziehungen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg informierte Christoph Brüll im Panoramasaal in Vogelsang, dem ehemaligen belgischen Truppenübungsplatz.
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„Nach 1945 ist die Zeit nicht stehengeblieben“, erklärte Thomas Kreyes, Geschäftsführer von Vogelsang ip, warum in Vogelsang, wo vor allem über die Zeit des Nationalsozialismus geforscht wird, nun ein Vortrag zu hören war, der sich mit der Nachkriegszeit befasste. Logisch: Über viele Jahrzehnte gehörten belgische Soldaten zum alltäglichen Miteinander rund um den Truppenübungsplatz.
Die Untersuchung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten ist der Forschungsschwerpunkt des Eupener Historikers Christoph Brüll. Er ist Professor an der Universität in Luxemburg und stellvertretender Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats von Vogelsang ip. „Das einzige internationale Mitglied, aber das mit der kürzesten Anreise“, scherzte er.
Belgier kämpften in Wehrmacht, Waffen-SS und im Widerstand
Nach der Besetzung im Ersten Weltkrieg wurde Belgien auch im Zweiten Weltkrieg überrannt. Eine belgische Exilregierung formierte sich 1942 in London, die allerdings nicht besonders gut gelitten war, da die Briten den Belgiern vorwarfen, dass König Leopold III. zu früh die Waffen gestreckt habe. „So mussten die Belgier beweisen, dass sie auf der richtigen Seite stehen“, erklärte Brüll.
Die Vorstellungen über die Zukunft des Nachkriegsdeutschlands reichten von der Zerstückelung des Landes, um ein Wiedererstarken des gefährlichen Nachbarn zu verhindern, bis hin zu gemäßigteren Positionen. Die maßgeblichen Entscheider favorisierten laut Brüll die gemäßigte Denkrichtung: „Die hatten die Zeit der Besatzung nicht in Belgien verbracht.“

Den deutsch-belgischen Grundlagenvertrag unterzeichneten Paul-Henri Spaak (3.v.l) und Konrad Adenauer (4.v.l) in der belgischen Botschaft in Rom.
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Die sprichwörtlich grüne Grenze: Heute ist von den einstigen Grenzen oft nichts mehr zu sehen, hier der zugewachsene ehemalige Übergang bei Kehr.
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Prof. Christoph Brüll referierte in Vogelsang über die deutsch-belgischen Beziehungen.
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Ab 1942 wurde aus 8000 Freiwilligen eine neue belgische Armee formiert, die sich an den Militäroperationen der Alliierten beteiligte. Bei der Landung in der Normandie sei sie nicht beteiligt gewesen, da ansonsten die Gefahr bestanden hätte, dass sie aufgerieben worden wäre, so Brüll. Rund 20.000 Flamen und Wallonen haben laut Brüll freiwillig in der Wehrmacht und der Waffen-SS gekämpft.
Auf der anderen Seite war der belgische Widerstand: Nach der Befreiung Belgiens 1944 sei dieser entwaffnet worden. Die Kämpfer seien in die Armee integriert worden. Jedoch: „Die Disziplin war katastrophal“, so Brüll. Als diese die Grenze überschritten, machten sich diese Kämpfer auf die Jagd nach Material. „Das war bis 1947 ein Problem“, sagte Brüll.
Eine belgische Besatzungszone wurde 1945 nicht errichtet
Das Ziel der belgischen Exilregierung im Köln-Aachener Raum, ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg eine Besatzungszone zu errichten, scheiterte. Der Grund: Belgien wurde in der Konferenz von Potsdam 1945 nicht als Besatzungsmacht eingesetzt. Stattdessen fiel ihm eine Unterbesatzungszone unter englischer Aufsicht zu, die von der Eifel über Köln und Paderborn bis Höxter reichte.
„Das war das Gegenteil des Gewünschten“, führte Brüll aus. Auf dem Gebiet übernahmen die Belgier die öffentliche Ordnung, um die Demontagen so abzusichern. Auch eigene Reparationen führten die Belgier durch, zum Beispiel mit Holzeinschlägen kurz nach dem Kriegsende im Raum Schleiden. Entsprechend unbeliebt seien die Belgier bei den Deutschen gewesen.
Reibereien habe es auch um Wohnraum gegeben, da die belgischen Offiziere auch ihre Familien mitbrachten, so Brüll. Für die belgische Armee habe es strenge Fraternisierungsverbote gegeben. Wer eine Deutsche heiratete, musste aus der Armee ausscheiden – das wurde erst 1951 geändert.
1949 entstand in einem Streifen der Eifel Bollenien
Als einflussreiche Person in der Nachkriegspolitik etablierte sich Paul-Henri Spaak, der nach Kriegsende zuerst Außenminister und im März 1946 Premierminister von Belgien wurde. Er favorisierte ein kooperatives Verhältnis mit Nachkriegsdeutschland, um durch die Einbindung in den Westen eine erneute Kriegsgefahr auszuschließen. Entgegen der Forderungen belgischer Nationalisten ging es der Regierung nur um rund 400 Berichtigungen der Grenze, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg in den Versailler Verträgen festgeschrieben worden war. So sollten die Enklaven der Vennbahn verschwinden und Roetgen und Mützenich belgisch werden. Diese gemäßigte Haltung sollte sich als schlau erweisen, so Brüll.
Im März 1949 wurden den Belgiern von den Westalliierten diese Gebietsgewinne zugestanden. Am 23. April 1949 verzichtete die belgische Regierung aber offiziell darauf, als die belgische Aufsichtsverwaltung der deutschen Gebiete bei Losheim und Bildchen bei Aachen, landläufig als „Bollenien“ bekannt, eingerichtet wurde. Dieser Name für den rund 1350 Hektar großen Bereich ist auf General Paul Bolle zurückzuführen. Er hatte wenige Jahre zuvor die Holzfällungen in Schleiden in Auftrag gegeben wurde und war als Gouverneur mit der Verwaltung des Gebietes betraut.
Nach der „Revolte von Mützenich“ verbesserten sich die Beziehungen
Damals sei die deutsch-belgische Grenze mit Stacheldraht abgesichert gewesen, vor allem, um den Ostbelgiern zu verwehren, nach Deutschland zu gehen, so Brüll. Noch bis 1956 habe es Grenzpassierscheine gegeben. Für die betroffenen Orte habe die Verwaltung allerdings gut funktioniert – manche erhielten erstmals einen Stromanschluss.
Andere Orte, die nicht belgischem Gebiet zugeschlagen wurden, waren genau damit nicht so glücklich: Laut Brüll gab es 35 Petitionen von deutschen Orten, belgisch zu werden. Viele der Ortsbewohner hatten Wald auf der belgischen Seite, der aber bis zur Klärung der Rechtslage unter Sequesterverwaltung gestellt war.
So kam es 1949 zur „Revolte von Mützenich“: Man wollte zu Belgien gehören. Also richtete der Gemeinderat eine einstimmige Petition an die belgische Regierung, die Entscheidung zum Territorialverzicht zurückzunehmen. „Dolchstoß in Mützenich“ titelte damals der „Spiegel“. Belgiens Premierminister Spaak reagierte nicht, dafür aber der Aachener Regierungspräsident Ludwig Philipp Lude, als „Revolverlude“ bekannt, da er einmal bei einer Diskussion in einem Gemeinderat mit seinem Revolver in die Decke geschossen hatte. Kurzerhand suspendierte er den Gemeinderat. Er setzte eine Bürgermeisterin ein, die aber von den Mützenichern nicht akzeptiert wurde.
Immer weiter hätten sich die Beziehungen zwischen den Staaten verbessert, führte Brüll aus. So sei 1951 das „Belgische Haus“ in Köln eröffnet worden. Bis heute sei Deutschland Belgiens wichtigster Exportpartner. Nachdem 1951 die westlichen Besatzungsmächte den Kriegszustand mit Deutschland beendet hatten, wurde schließlich 1956 der Vertrag zwischen Deutschland und Belgien über die Berichtigung der Grenze geschlossen. „Damit wurde“, so Brüll, „der gleiche Grenzverlauf vereinbart, wie er zur Zwischenkriegszeit gegolten hat.“ Und auch die kurze Existenz von „Bollenien“ fand mit diesem Vertrag ihr Ende.