InterviewHenriette Reker über die Corona-Herausforderungen und das neue Ratsbündnis

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Henriette REKER KR

Henriette Reker.

Köln – Frau Reker, es gab kein Thema, das Sie in diesem Jahr mehr beschäftigt hat als Corona. Die Zahlen steigen weiter. Wie groß ist Ihre Sorge?

Henriette Reker: Ich bin natürlich sehr besorgt. Jeder Anstieg der Infektionen ist sehr bedenklich. Ich hoffe sehr, dass wir wenigstens auf dem jetzigen Niveau stehen bleiben und die Zahlen nicht nach Weihnachten noch höher steigen. Schon jetzt sind sie viel zu hoch, keine Frage, aber sie sind noch beherrschbar. Deswegen gab es keine andere Möglichkeit als in dem Lockdown zu gehen, auch wenn es sehr bedrückend ist, dass so viele um ihre Existenz bangen müssen.

Die Straßen sind nicht so leer wie im März, wie zur Zeit des ersten Lockdowns. Glauben Sie, der Ernst der Lage ist allen bewusst?

Ich weiß es nicht. Für manche Menschen ist die Krankheit offenbar noch zu weit weg. Wir müssen jetzt noch einige Monate durchhalten, bis der Impfstoff in großen Mengen da ist. Das wird mindestens noch ein halbes Jahr dauern.

Was kann die Stadt konkret tun?

Wir haben die Zahl der Mitarbeiter im Gesundheitsamt vervierfacht, es sind nun rund 1260 Beschäftigte. Denn wir müssen die Kontaktverfolgung weiter aufrechterhalten. Es gelingt uns immerhin, jede und jeden zu kontaktieren, der mit dem Virus infiziert ist und zu erläutern, was zu tun ist, wer informiert werden muss. Man lernt ja in solchen Krisen.

Als ich im März in Quarantäne war, ist mir erst bewusst geworden, mit welcher Zettelwirtschaft wir gearbeitet haben. Das haben wir schnell digitalisiert, und das hilft uns heute sehr: Ein Infizierter gibt auf digitalem Weg seine Kontaktpersonen an, nur deswegen konnten wir das System aufrechterhalten. Das haben andere Städte längst aufgegeben.

Wie sehr schränkt sie die Pandemie persönlich ein? Wie feiern Sie Weihnachten?

Ich werde Heiligabend zum ersten Mal seit 30 Jahren nicht mit meinen besten Freunden feiern. Ganz einfach, weil sie altersmäßig zum Risikokreis zählen, außerdem sind wir nicht miteinander verwandt. Das ist schon etwas, was ich traurig finde. Ich habe keine Eltern mehr, mein Mann auch nicht, aber es gibt sehr gute Freundinnen und Freunde, die ich nicht sehen kann, das fehlt mir schon sehr.

Gehen Sie in die Kirche?

Das weiß ich noch nicht.

Das Ratsgeschäft ist angelaufen. Sind Sie zufrieden mit dem Bündnis aus Grünen, CDU und Volt, das sich abzeichnet?

Ich bin natürlich froh, dass sich meine Unterstützer zusammengeschlossen haben und nun von Volt verstärkt werden. Es gab in der letzten Ratsperiode ja keine Mehrheit der Unterstützer. Wobei ich grundsätzlich hoffe, Beschlüsse mit einer breiten Mehrheit treffen zu können.

Im Positionspapier der drei Parteien ist die grüne Handschrift erkennbar. Zufrieden?

Ich denke, dass der Wählerwille zum Ausdruck gekommen ist.

Die Grünen haben die Finanzhilfe für den Flughafen an Zugeständnisse beim Nachtflug geknüpft. Ist das die neue Handschrift?

Es ist keine Bedingung gestellt, sondern eine Haltung formuliert worden. Über diese Frage bestand schnell Einigkeit, weil ja alle weniger Emissionen wollen und weniger Fluglärm.

Aber es geht im Kern um die Abwägung von ökologischen und ökonomischen Fragen. Wie bei der Rheinenergie, die keinen Strom mehr an die Stadt liefern darf.

Um die Abwägung geht es, ja. Aber beim Strom war es eine Vergabeentscheidung.

Aber die Rheinenergie ist die Kuh, die den Stadtwerken Milch gibt. Hätte man nicht eine politische Entscheidung mit regionaler Präferenz daraus machen müssen?

Das hätte man machen können. Manchmal muss man etwas einfach tun, eine Richtung ändern, um ein größeres Ziel zu erreichen. Ich denke, in der Situation sind wir gerade.

Betriebsruhe der Stadt sorgt für Streit

5 Tage lang wollte Oberbürgermeisterin  Henriette Reker die Mitarbeiter der Stadtverwaltung  bitten, Urlaub zu nehmen oder mit Minus-Überstunden ins Jahr zu starten, um Kontakte zu vermeiden (siehe Interview). Reker erhoffte sich eine Vorbildfunktion ihrer Verwaltung.  Doch der Personalrat lehnte die verlängerten Betriebsferien samt eingeschränkter Erreichbarkeit  vom 4. bis 8. Januar ab.

Bei der Stadt waren Ende 2019 insgesamt 20 975  Menschen beschäftigt.  Jörg Dicken, Vorsitzender des Gesamtpersonalrats: „Die OB hätte an die Bürger appellieren können, die  Verwaltung nur im Notfall in Anspruch zu nehmen.“     Dicken verweist auf die erhöhten Belastungen der Verwaltung, etwa beim Ordnungsdienst.  „Dann ist es nicht so prickelnd, gesagt zu bekommen, man müsse Überstunden oder Urlaub nehmen.“ Hätte Reker darauf bestanden, wäre eine Klage drin  gewesen, er sagte: „Das hätten wir  zu gegebener Zeit entscheiden  müssen.“

In der Verwaltungsspitze wundert sich mancher über diese Haltung, weil die Mitarbeiter – anders als andere Betroffene –  keine Jobängste haben müssten. Und sie über den  Tarifabschluss eine  Corona-Prämie von 200 bis 600 Euro erhalten.  Das bediene das Bild der realitätsfernen Stadtverwaltung, heißt es.  (mhe)

Das gilt offenbar auch für den Grüngürtel. Der 1. FC Köln hat zwar einen gültigen Ratsbeschluss für die Erweiterung des Trainingszentrums, bekommt aber wohl keinen Pachtvertrag. Können Sie nicht verstehen, dass der Verein stinksauer ist?

Es ist ein städtebaulicher Vertrag mit dem Verein geschlossen worden. Dem ging eine Ratsentscheidung voraus. Die zwischenzeitliche Kommunalwahl hat andere politische Kräfteverhältnisse hervorgebracht. Diese Abfolge habe ich mir ja nicht ausgedacht.

Aber dieser nicht ganz unbedeutende Verein hat das Gefühl, er kann sich nach sechs Jahren Planungszeit nicht auf Verwaltungszusagen verlassen und ist sauer.

Weil seine Vorstellungen, wenn überhaupt, verzögert umgesetzt werden. Das ist ja menschlich verständlich, aber die Verwaltung hat das Verfahren korrekt geführt. Die Mehrheitsfraktionen haben jetzt ein Moratorium ausgesprochen. Der Club kannte den Wahltermin, dass die Grünen stärker werden würden, kam nicht ganz überraschend.

Im Stadtvorstand stehen Änderungen an. Es muss ein Stadtdirektor gefunden. Die Grünen wollen das Verkehrsdezernat. Was ist mit der Dezernentin, Andrea Blome?

Ich halte sie für eine ausgesprochene Fachfrau, und sie ist noch für vier Jahre gewählt. Aber der Rat kann den Zuschnitt der Dezernate ändern, das kann ich nur bedingt beeinflussen.

Dahinter steht ein Riesenproblem, Dienststellen wie die Kfz-Zulassung oder das Standesamt arbeiten nicht mehr am Wochenende. Müssen Sie das nicht schnell regeln?

Wir sind schon dabei und führen intensive Gespräche unter anderem mit der Personalvertretung, die zustimmen muss. Wenn es eine offenbar rechtswidrige Regelung zu den Überstunden gibt, muss man die ändern. Die Bürger haben andererseits einen Anspruch darauf, die Dienste der Stadt nutzen zu können. Wir sind dabei, eine rechtssichere Regelung zu finden und unternehmen alles um diese Dienste auch sicherstellen zu können.

Die Ordnungsamtsmitarbeiter sind um die Arbeit der Corona-Kontrollen nicht zu beneiden, teilweise wurden sie körperlich angegriffen. Wie können Sie die schützen?

Das ist eine gute Frage. Sie sind zum Glück erstaunlich widerstandsfähig, und sie dürfen auch nicht ausfallen, ihre Arbeit ist zu wichtig. Aber wir haben schon länger zu wenige Stellen besetzt im Ordnungsamt. Wir können aber nur Zug um Zug einstellen, da wir sie ja noch ausbilden müssen. Es gibt eine Kraft der Krise. Die Mitarbeiter halten durch.

Mit Silvester steht die nächste große Belastungsprobe für die Stadt bevor.

Das stimmt, aber ich setze auf die Einsicht der Kölner. Das hat am 11.11. übrigens auch geklappt.

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Sie wollten die Betriebsruhe der Verwaltung um eine Woche im Januar verlängern, aber der Personalrat hat nicht mitgemacht. Stimmt das?

Wenn die Bundeskanzlerin einen dringenden Appell an alle richtet, Kontakte zu vermeiden. Wer soll das denn bitte erfüllen, wenn nicht der öffentliche Dienst? Ich hatte vorgeschlagen, Urlaub zu nehmen oder mit Minus-Stunden ins neue Jahr zu starten. Ich hatte auf Unterstützung gehofft, der Gesamtpersonalrat hat es leider nicht mitgemacht. Das finde ich enttäuschend, denn es wäre ein Zeichen der Solidarität gewesen. Aber ich bin froh, dass dennoch viele Mitarbeitenden meinem Appel folgen.

Stichwort Klinikverbund: Ist der Zusammenschluss von Uniklinik und städtische Kliniken durch Corona in Gefahr?

Wir sind in guten Gesprächen mit dem Land. Natürlich hat sich das durch die Pandemie verzögert, aber es gibt eine grundsätzliche Bereitschaft, die Chancen, die in dem Verbund stecken, zu nutzen. Wir sehen gerade in der Krise die möglichen Vorteile. Ich hoffe, dass wir den Verbund 2021 beschließen können.

Das Interview führten Stefan Sommer und Jens Meifert.

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