Prügelei im StadtratAls Kölner Abgeordnete aufeinander losgingen

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Markantes Gesicht der Weimarer Republik: Außenminister Walter Rathenau wurde am 24. Juni 1922 auf der Fahrt ins Auswärtige Amt in Berlin-Grunewald von Angehörigen der rechtsextremen Organisation Consul ermordet. Nach der Kölner Ratsdebatte im Juli wurde nach ihm der Rathenauplatz (l.) benannt. Das Bild rechts unten zeigt den damaligen Oberbürgermeister Konrad Adenauer (r.) 1924 mit Reichspräsident Friedrich Ebert auf dem Weg zur Kölner Messe.

Markantes Gesicht der Weimarer Republik: Außenminister Walter Rathenau wurde am 24. Juni 1922 auf der Fahrt ins Auswärtige Amt in Berlin-Grunewald von Angehörigen der rechtsextremen Organisation Consul ermordet. Nach der Kölner Ratsdebatte im Juli wurde nach ihm der Rathenauplatz (l.) benannt. Das Bild rechts unten zeigt den damaligen Oberbürgermeister Konrad Adenauer (r.) 1924 mit Reichspräsident Friedrich Ebert auf dem Weg zur Kölner Messe.

Köln – Kölner Stadtverordnete prügelten sich im Spanischen Bau! Warum? Auslöser war die Ermordung von Außenminister Walther Rathenau am 24. Juni 1922 in Berlin. Er war nicht der erste Politiker, der in der jungen Weimarer Republik einem Attentat zum Opfer fiel. Durch Deutschland lief eine Welle der Empörung. Der Mord wurde als Anschlag auf die Demokratie und als Aufbäumen monarchistischer Kräfte interpretiert.

Der Zorn richtete sich auf die abgesetzten Hohenzollern und ihre Anhänger. In Köln sammelten sich die Menschen zu Demonstrationen für die Republik, zunächst am Dienstag, dem 27. Juni 1922, dann eine Woche darauf, am 4. Juli 1922, als bis zu 250.000 am Sportplatz am Aachener Tor zusammen gekommen sein sollen. Als danach ein Strom von Arbeitern zurück zu ihren rechtsrheinisch liegenden Wohnungen pilgerte, führte der Weg über die Hohenzollernbrücke.

Schwere Ausschreitungen der Demonstranten

Dem Reiterstandbild des verhassten Wilhelm II. steckten einige Demonstranten zunächst eine rote Fahne an. Dann erklommen mehrere Jugendliche die Skulptur, um an einen Pferdehuf ein Schild zu hängen: „Nieder mit den Monarchisten“. Einige hatten praktischerweise auch Werkzeug mitgeführt.

Damit hämmerten die Randalierer auf die Bronzeplastik ein. Sie schlugen Säbel und und Sporen ab und warfen die Teile in den Rhein. Als aber die Hufe des Pferdes durchgesägt werden sollten, um Pferd und Reiter abzustürzen, wurde es der Polizei zu bunt. Sie scheuchten die Demonstranten nach Deutz.

Kölner Stadtparlament im spanischen Bau

Warum musste man aber in Zeiten der Republik überhaupt allenorts weiter an die ehemalige Herrscherfamilie erinnern, die im niederländischen Exil nur darauf zu warten schien, dass man sie zurückrief? Darüber diskutierte das Kölner Stadtparlament am 7. Juli im Spanischen Bau.

Wilhelm Hölken, der Fraktionsvorsitzende der SPD, eröffnete die Debatte mit der Frage, warum es in Köln weiterhin einen Kaiser-Wilhelm-Ring und einen Hohenzollernring geben müsse. Solle man diese nicht viel lieber nach den Märtyrern der jungen Republik in Rathenau-Ring oder Erzberger-Ring umzutaufen? Und die Hohenzollernbrücke in Dombrücke? Seine Rede gipfelte im Satz: „Eine Ablehnung unseres Antrages müssten wir dahin auslegen, dass diejenigen, die ablehnen, keine ehrlichen Republikaner sind!“

Streit zwischen den Fraktionen

Diese Ansicht teilten nicht alle Fraktionen. Republik schön und gut, aber müsse das unbedingt mit Veränderungen im Stadtbild verknüpft werden? „Ich kann nicht einstimmen, dass wir in diese Wiedertäufermanie verfallen, die im ganzen deutschen Vaterland entstanden ist“, erläuterte der konservative Johann Rings von der Zentrumspartei. „Man kann verschiedener Meinung darüber sein, ob früher nicht allzuviel auf dem Gebiete der Namensgebung getan worden ist.

Wenn man aber jetzt in vielen Städten dazu übergeht, nach allen möglichen Personen Straßen zu benennen, über deren Verdienste im Volke man verschiedener Meinung sein kann, so meine ich, verfällt man in denselben Fehler wie früher. Wir sind bereit, das Andenken der beiden Staatsmänner durch Benennung zweier Straßen zu ehren. Wir sind aber der Auffassung, dass es richtiger ist, dafür zwei neue Straßen zu nehmen.“

Verbale Entgleisungen des Kommunisten Josef Neuhauser

Während sich hier so etwas wie ein Kompromiss abzeichnete, nahte das Ungemach in Person des Fraktionsführer der Kommunisten, der ans Rednerpult trat. Der 1887 in Oberbayern geborene Josef Neuhauser, genannt Sepp, war bekannt für seine verbalen Entgleisungen und sein wenig gezäumtes Temperament. Einen „Saustall und Adenauer-Zirkus“ hatte er die Stadtverordnetenversammlung schon einmal genannt.

Von sich reden gemacht hatte er zudem durch sein Geständnis, während des Kriegs einen Major getötet zu haben und nur durch die Revolution straffrei geblieben zu sein. Er schlug nun vor, man könne ja, wenn man die Hohenzollern durchaus weiter ehren wolle, die Kammachergasse auf sie taufen – diese Straße in der Altstadt war stadtbekannt wegen ihrer Bordelle.

Tumulte im Stadtrat beginnen

Entsprechend sorgte der Vorschlag für erregte Pfui-Rufe aus einigen Fraktionen. „So ein Kerl!“ und „Flegel!“ tönte es von allen Seiten. Besonders aber ärgerte sich Neuhauser, dass Justizrat Dr. Johannes Kaiser von der Deutschen Volkspartei „Gemeiner Kerl“ rief.

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Die beiden waren schon vorher keine Freunde gewesen. Neuhauser hatte bei einer vorherigen Sitzung angekündigt, dass Kaiser irgendwann am Laternenpfahl baumeln werde. Nun brachte sich Neuhauser am Rednerpult drohend in Position und schrie Kaiser entgegen: „Wenn Sie nochmals gemeiner Kerl sagen, haue ich Ihnen eine in die Fresse!“ „Gemeiner Kerl!“ rief Kaiser nochmals, woraufhin ein wutentbrannter Neuhauser auf Kaiser zustürzte und zum Schlag ausholte.

Adenauer verlässt die Sitzung

Schnell unterbrach Oberbürgermeister Konrad Adenauer förmlich die Sitzung und verließ den Saal. Unterdessen sprangen einige Bürgervertreter schnell von ihren Sitzen auf und warfen sich zwischen Kaiser und Neuhauser. Die Situation schien schon bereinigt, als sich Sepp Neuhauser, „Sie Schurke, Sauhund, dreckiger!“ schreiend, den Rock auszog und abermals auf Kaiser zustürzte.

Es flog ein Wasserglas durch den Saal

Der riss abwehrend den Arm hoch, als wieder im letzten Moment einige Stadtverordnete auf Neuhauser zusprangen und ihn festhielten. Diesmal jedoch riss sich dieser los, griff sich ein Wasserglas und warf es Richtung Kaiser, wobei er Tintenfass und andere Dinge vom Pult wischte. Anschließend schnappte er sich einen Stuhl, mit dem er umherschwang. Die Sozialisten lieferten sich unterdessen Brüllduelle mit den Mitgliedern der Rechten.

Irgendwann aber beruhigte sich die Lage doch wieder. Saal und Tribünen leerten sich, während sich die unterschiedlichen Fraktionen jeweils zur kurzen Besprechung der Vorkommnisse zurückzogen. Adenauer berief zum Abschluss des Tages die Fraktionsführer zu einer Sitzung zusammen.

Einigung bei Änderung von Straßennamen

Im Januar 1923 wurde dann verkündet, dass sich die Stadtverordneten auf mehrere Namensänderungen für Straßen, Plätze und Bauten verständigt hätten. So heiße von nun ab nicht nur der Königsplatz gegenüber der Synagoge Rathenauplatz und der ehemalige Königin-Luise-Platz in Nippes Erzbergerplatz. Die Hohenzollernstraße in Kalk wurde umgetauft in Lüttringhauserstraße, die Kaiserstraße in Kalk hieß von nun an Eythstraße, die Konprinzstraße in Kalk Dieselstraße, die Schaumburgstraße in Kalk Lilienthalstraße, die Prinz-Heinrich-Straße in Mülheim Lassallesstraße, die Prinz-Wilhelm-Straße in Mülheim Adamsstraße und schließlich das Kaiser-Wilhelm-Bad in Deutz ab nun Deutz-Kalker Bad.

Anselm Weyer ist promovierter Germanist, schreibt Architekturführer und beschäftigt sich vielfältig mit der Kölner Stadtgeschichte.

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