NRW-HochschulenImmer weniger junge Leute studieren – was hat das für Folgen?

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Studenten und Studentinnen verfolgen sitzen in einem Hörsaal.

Erstsemester-Begrüßung an der Universität zu Köln: Die Zahl der Neueinschreibungen sinkt.

Eine Zeit lang stieg die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger stetig. Inzwischen spüren die Hochschulen aber die Konsequenzen einer alternden Gesellschaft.

Was ist das Problem?

Die Unis und Fachhochschulen zählen weniger Erstsemester, und Hochschulen in NRW, Baden-Württemberg und Niedersachsen verlieren am stärksten, wie eine Analyse des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) zeigt. Den größten Rückgang der Erstsemester-Zahlen gibt es in den Fächern Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften, Elektro- und Informationstechnik sowie Germanistik. Während die staatlichen Universitäten verlieren, konnten die privaten Hochschulen ihre Anfängerzahlen sogar steigern.

Der Höchststand bei den Studienanfängern wurde in Deutschland im Wintersemester (WS) 2011/12 mit 445.000 erreicht. Nach einer Stagnation auf hohem Niveau gehen die Werte seit dem WS 2019/20 deutlich zurück und lagen 2021/22 bei unter 400.000. Hauptgrund: Der Rückgang der Geburtenzahlen zwischen 1990 und 2011.

An Universität zu Köln haben im letzten Wintersemester 4800 junge Leute ihr Studium aufgenommen, 700 weniger als im Wintersemester 2021/22.

Was sind die Konsequenzen?

Die Hochschulen müssen sich zum Beispiel mit der Frage beschäftigen, wie viele Räume und Personal sie noch benötigen. Auch die Frage, wie viel Geld sie vom Staat bekommen, spielt eine Rolle.

Gesellschaftlich betrachtet, vergrößert der Trend „die ohnehin schon schwierige Fachkräftesicherung in den Unternehmen“, erklärt der Chef des Dachverbandes Unternehmer NRW, Arndt G. Kirchhoff. Fachkräfte mit Hochschulabschluss fehlten insbesondere in mathematisch-naturwissenschaftlichen Berufen. „Für diese Studiengänge müssen nicht nur mehr junge Menschen gewonnen werden, sie müssen auch erfolgreich durchs Studium kommen“, sagt Kirchhoff.

Die Unternehmer erinnern daran, dass es jenseits des Mangels an akademischen Fachkräften schon lange eine dramatische Entwicklung durch fehlende Fachkräfte mit beruflicher Qualifikation gebe. Zwischen 2012 und 2022 sei die Zahl der Ausbildungsbewerber um ein Viertel zurückgegangen.

Künftige Studierende dürften einen positiven Effekt spüren: An der TU Dortmund sank parallel die Zahl der zulassungsbeschränkten Studiengänge. Zuletzt waren 17 Bachelorstudiengänge mit einem Orts-NC beschränkt, im Jahr des doppelten Abi-Jahrgangs 2013 waren es noch 26.

Wie sieht die Lösung aus?

CHE-Geschäftsführer Frank Ziegele sagt: „Die Grabenkämpfe zwischen akademischer und beruflicher Bildung sollten der Vergangenheit angehören.“ Beide Bereiche könnten sich gegenseitig unterstützen. Zum Beispiel, indem Hochschulen Module zur beruflichen Ausbildung beisteuerten oder man wechselseitig erworbene Kompetenzen leichter anrechnen könne. „Gerade das Wachstum bei den privaten Hochschulen zeigt, wie groß der Wunsch bei Studieninteressierten nach Angeboten ist, bei denen man Beruf, Familie und Studium flexibel oder in Teilzeit kombinieren kann“, so Ziegele.

Die staatlichen Hochschulen sollten ihr Profil überprüfen. Eine klare Strategie sei besser als Trends hinterherzulaufen. So könne es sinnvoll sein, akademischen Nachwuchs aus dem Ausland zu umwerben, so der CHE-Geschäftsführer.

Unternehmer-Präsident Kirchhoff sagt: „Gerade in technischen Studiengängen sind die Abbrecherzahlen viel zu hoch. Hier sind die Hochschulen gefordert – etwa durch einen größeren Praxisbezug im Studium sowie mit einem Angebot von Brücken- oder Förderkursen in zentralen Fächern wie Mathematik. Gleichzeitig muss die Qualität der Schulbildung besser werden, damit Studienanfänger auch das erforderliche Rüstzeug für ein Studium mitbringen.“

Was unternehmen die Hochschulen?

Bernd Kriegesmann, Chef der Landesrektorenkonferenz der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (Fachhochschulen), setzt auf „moderne“ Studiengänge. „Wir müssen zudem neue Zielgruppen ansprechen“, sagt er. Mit englischsprachigen Studien könnten mehr internationale Studierende für ein Studium in NRW interessiert werden. „Und wir müssen mehr Frauen für Ingenieurwissenschaften gewinnen“, betont Kriegesmann. In Osteuropa könne man beobachten, dass die Anteile von Frauen und Männern in diesen Studiengängen annähernd gleich seien. „Warum nicht bei uns?“

Die Hochschulen sollten daher neue Formate entwickeln, um mehr als nur beim alljährlichen „Girls-Day“ für einen Tag gezielt Schülerinnen anzusprechen. Das Interesse für Technik und Naturwissenschaften müsse bereits in der Schule geweckt werden.

Die TU Dortmund hat ihr Beratungsangebot für Studieninteressierte erweitert. So berät die TU etwa mit dem „Talent-Scouting-Programm“ Schülerinnen und Schüler vor allem aus Familien ohne akademischen Hintergrund über die Möglichkeiten eines Studiums.

Auch für internationale Studierende will die Dortmunder Uni attraktiver werden. Das Angebot an englischsprachigen Masterstudiengängen wurde von fünf auf elf mehr als verdoppelt. Die Zahl der ausländischer Studierender sei auch dadurch seit 2017 um 16 Prozent auf heute 4330 gestiegen.

Um das Interesse an technischen Fächern zu wecken und Studienabbrüche zu verhindern, haben die Unis viele Projekte gestartet, etwa Einführungsveranstaltungen, Vorkurse und Mentoring-Programme, die den Übergang von der Schule ins Studium erleichtern sollen, erklärt Prof. Johannes Wessels, Vorsitzender der Landesrektorenkonferenz NRW.

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