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Interview

Drohnenwelle
Warum fordert Russland Polen so heraus, Herr Jäger?

4 min
Polizei Rettungskräfte im polnischen Wyrkyi: Eine russische Drohne hat hier das Dach eines Wohnhauses zerstört.

Polizei Rettungskräfte im polnischen Wyrkyi: Eine russische Drohne hat hier das Dach eines Wohnhauses zerstört.

Polen hat mit niederländischer Hilfe den Einflug russischer Drohnen in seinen Luftraum abgewehrt. Im Rundschau-Interview erklärt der Kölner Politologe Thomas Jäger, was Russland mit solchen Provokationen erreichen will. Seine These: Es geht um einen Test.

Herr Jäger, Russland hat im Angriffskrieg gegen die Ukraine immer wieder Luftraum von Nato-Staaten verletzt. Noch vor ein paar Tagen ließ Polen russische Drohnen einfach durchfliegen, jetzt am Mittwochmorgen wurden solche Drohnen dagegen erstmals abgeschossen – von Polen mit niederländischer Hilfe. Warum hat Polen so entschieden?

Ich sehe zwei Motive dahinter. Erstens: Russland hat in den letzten Tagen seine Rhetorik gegenüber nord- und osteuropäischen Staaten verschärft. Dazu gehört vor allem der Vorwurf, in Finnland werde ein Angriff gegen Russland vorbereitet, und darauf werde man reagieren. Das wird in Polen sehr ernst genommen, denn dem Angriff auf die Ukraine 2022 ging ebenfalls eine verschärfte Rhetorik voraus. Zweitens: In Belarus findet das Großmanöver „Sapad“ mit Russland statt. Deshalb schließt Polen die Grenze zu Belarus und wollte auch im Luftraum klarmachen: Hier ist die Grenze. Und es handelte sich ja nicht um einige wenige Drohnen, sondern nach polnischen Angaben sah man sich einem massiven Einsatz gegenüber.

Was hat Russland von einer solchen Aktion? Will Moskau etwas über die polnische Luftabwehr herausfinden?

Wenn wir mal die russische Perspektive einnehmen, dann geht es schlicht ums Testen. Erstens testet man in der Tat konkret die polnische Luftabwehr. Wie verhalten die sich operativ? Wie gehen die vor, welche Mittel setzen sie ein, mit was muss man aus russischer Sicht also rechnen? Zweitens ist es ein politischer Test. Wie sind die Reaktionen? Wir haben die polnische und niederländische Reaktion gesehen, aber was machen Länder wie Portugal oder Spanien? Sagen die vielleicht, nun macht einmal langsam? Russland kalkuliert damit, dass die Reaktionen unterschiedlich ausfallen. Tatkräftige Solidarität der Nordeuropäer vielleicht – und der Niederländer, denken Sie an den Einsatz niederländischer F-35 über Polen! – und freundliche, aber wertlose Unterstützungsbekundungen anderer Nato-Länder.

Polen hat den Konsultationsprozess nach Artikel 4 des Nato-Vertrags eingeleitet. Was bewirkt das?

Die Europäer hätten das Thema untereinander ohnehin besprechen können. Polen hat sich aber für Artikel 4 entschieden. Das heißt, die USA mit ins Boot zu nehmen, indem man den Vorfall mit ihnen als aggressiven Akt bespricht. Es kommt jetzt darauf an, wie man die USA einschätzt und welches Signal an Russland man vor diesem Hintergrund erwartet. Wird das Verfahren US-Präsident Donald Trump dazu bringen, dass er sagt: Wir müssen Russland jetzt einmal zeigen, dass es so nicht uns umgehen darf? Oder muss man eher fürchten, dass aus solchen Konsultationen das Signal an Russland hervorgeht, die Amerikaner würden am Ende nichts tun? Das wissen wir nicht.

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Im Kreml weiß man inzwischen, dass man den Krieg gegen die Ukraine mit dem bisherigen Vorgehen militärisch nicht gewinnen wird. Man hat versucht, ihn auf dem Umweg über Washington zu gewinnen. Auch das hat nicht funktioniert.
Thomas Jäger

Sie sagten vorhin, dass Polen die verschärfte russische Rhetorik sehr ernst nimmt. Aber wie viel steht wirklich dahinter? Wären russische Angriffe auf hochgerüstete Staaten wie Finnland realistisch?

Sie wären realistisch, und zwar aus einem Grund: Im Kreml weiß man inzwischen, dass man den Krieg gegen die Ukraine mit dem bisherigen Vorgehen militärisch nicht gewinnen wird. Man hat versucht, ihn auf dem Umweg über Washington zu gewinnen. Auch das hat nicht funktioniert. Auch wenn sich die USA zurückhalten, sind die Europäer eingesprungen. Die Unterstützung für die Ukraine bricht nicht zusammen. Deshalb könnte Moskau jetzt versuchen, den Bruch in der Nato, den Bruch zwischen den USA und den Europäern, sichtbar zu machen, indem man ein Nato-Land angreift. Nicht um eine neue Front aufzumachen, aber um zu testen: Wie reagieren die anderen Nato-Staaten?

Testen zum Beispiel durch Luftschläge?

Jawohl! Viele Europäer gehen davon aus, da es ja den Nato-Artikel 5 gibt, würden die US-Amerikaner uns beistehen. Also könnte Russland eine Situation provozieren, in denen die USA sagen, Ihr müsst das allein abwehren können. Damit hätte der russische Staatschef Wladimir Putin einen Riesenpunkt gemacht.

Es läuft immer auf die Frage hinaus: Sind die USA dabei? Wenn ja, ist es keine Frage: Sie haben alles, was man zur Abwehr braucht. Das weiß auch Russland, und deshalb wird militärisch im Augenblick ganz zaghaft getestet.
Thomas Jäger

Wenn wir uns vorstellen, es käme eine deutlich größere Drohnenwelle als in der Nacht zum Mittwoch. Oder eine andere punktuelle Aktion, etwa eine russische Grenzprovokation im Baltikum. Wie könnte die Nato vernünftig reagieren? Allzu massiv wird sie nicht zurückschlagen wollen, damit die Sache nicht noch weiter eskaliert, oder?

Genau damit spielt Putin. Setzen wir uns mal verschiedene Brillen auf. Die des angegriffenen Landes: Da wäre eine massive Reaktion wünschenswert, die den Angriff schnell beendet. Und jetzt die Brille von Ländern, die weiter weg sind. Die werden fragen: Kriegen wir das nicht irgendwie eingedämmt? Und dann eben die große Frage: Stehen uns die USA bei? Helfen sie mit Waffen und Soldaten? Oder sagen sie: Wir haben unseren Verbündeten die ganze Zeit signalisiert, dass sie selbst damit zurechtkommen müssen?

Hätten wir denn die Mittel zur Abwehr? Selbst unser toller Taurus könnte zum Beispiel nicht die russische Drohnenfabrik in Alabuga erreichen.

Es läuft immer auf die Frage hinaus: Sind die USA dabei? Wenn ja, ist klar: Sie haben alles, was man zur Abwehr braucht. Das weiß auch Russland, und deshalb wird militärisch im Augenblick ganz zaghaft getestet. Aber wenn die USA sich als unzuverlässig erweisen, sieht die Sache anders aus. Die Ost- und Nordeuropäer sind in der Lage, ihrer Verteidigung aufzunehmen, aber was ist mit der Solidarität im Hinterland?

Wie läuft die Diskussion darüber in Deutschland?

Die Bundesregierung agiert eher zurückhaltend, sie will auf keinen Fall, dass etwas eskaliert. Nun hat sie erklärt, dass sie über viele Maßnahmen nicht mehr reden will, was auch richtig ist. Hoffen wir also, dass die Abschreckung stärker ist, als sie nach außen kommuniziert wird. Aber wir wissen es nicht. Deutschland verfügt über gewisse Fähigkeiten, dazu gehört auch der Taurus. Aber die Bereitschaft, sie einzusetzen, ist nicht da. Ich kann nur hoffen, dass das Näherrücken der Bedrohung zu einer Einsicht führt: Man muss Russland die Fähigkeit nehmen, so viele Drohnen und so viele Raketen zu produzieren. Das können die Ukrainer im Krieg gegen Russland tun. Es wäre im Interesse der anderen europäischen Staaten, dass sie es schaffen. Vielleicht realisieren diese Staaten das jetzt.

Russlands Drohnenprogramm wäre ohne chinesische Bauteile nicht möglich. Müssen wir anders mit China umgehen?

Es wird breit darüber diskutiert, dass wir eine andere China-Strategie brauchen. Schon zu Zeiten der Ampel-Koalition war darüber ein richtiger Streit in der Bundesregierung ausgebrochen. Aber man drückt sich davor, denn eine andere China-Strategie wäre mit wirtschaftlichen Kosten verbunden, die momentan hier niemand hinnehmen will.

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Thomas Jäger lehrt Internationale Politik an der Universität zu Köln.