Interview mit Kölner Saxophonistin„Es ist eine schwierige Zeit für Kulturschaffende“

Lesezeit 7 Minuten
Theresia Philipp

Die Klarinette ist eher eingebettet in einen Song, das Saxophon schwebt darüber: Theresia Philipp hat eine räumliche Vorstellung von Instrumenten in der Musik.

  • Der Jazzpreis der Stadt wurde Theresia Philipp im Frühjahr verliehen.
  • Gebürtig kommt die 29-Jährige aus Sachsen, wo sie mit elf Jahren im Spielmannszug Saxophon spielte.
  • Bernd Imgrund sprach mit ihr.

Köln – Weil der Shutdown alle gastronomischen Betriebe dichtgemacht hat, greift der Interviewer auf seinen Kellnerschlüssel aus dem „Durst“ auf der Weidengasse zurück. Zahllose Plakate an den Wänden zeugen davon, dass das Kulturleben der Stadt einst sehr rege war. Sie sind soloselbstständig: Kühlschrank leer und zehn Kilo abgenommen seit März? (lacht) Es ist eine sehr schwierige Zeit für Kulturschaffende. Wir dürfen einen Großteil unserer Arbeit nicht machen. Die Bundeshilfe hat uns bisher nicht wirklich geholfen, aber es gab Zuwendungen durch die GEMA und die Stipendienhilfe des Landes NRW, dank der man 7000 Euro für ein konkretes künstlerisches Projekt beantragen konnte.

Was tun Sie dafür?

Ich plane, die Reden historischer und aktueller Feministinnen zu vertonen. Da kommt dann zum Beispiel Sojourner Truth zu Wort, die 1797 als Sklavin geboren und nach ihrer Befreiung zur Frauenrechtlerin und Abolitionistin wurde. Legendär wurde ihre Rede „And ain’t I a woman?!“ von 1851, die auch mich schwer beeindruckt hat.

Alles zum Thema Bernd Imgrund

Zur Person

Theresia Philipp wurde 1991 in Großröhrsdorf in Sachsen geboren. Mit elf Jahren spielte sie bereits Saxophon im heimischen Spielmannszug. Nach dem Abitur studierte sie bis 2015 an der Kölner Hochschule für Musik und Tanz.

Nach vier Jahren im LandesJugendJazzOrchester Sachsen gehörte sie zwei weitere Jahre zum BundesJazzOrchester. Neben Engagements in diversen eigenen und fremden Projekten gründete die Saxophonistin und Klarinettistin 2013 mit David Helm und Thomas Sauerborn die Band pollon, die 2016 ihr erstes Album vorlegte. Die Band kombiniert Neue Musik und Avantgardistischen Jazz u.a. mit ostkirchlichen Liturgiegesängen.

Im Frühjahr 2020 wurde Philipp der Jazzpreis der Stadt Köln verliehen – das Horst und Gretl Will Stipendium für Jazz und Improvisierte Musik. Ebenfalls seit diesem Jahr lehrt sie an der Hochschule, die sie 2015 mit Bestnote verließ. Das Album „pollon with strings“ ist seit 4. Dezember erhältlich, z.B. über http://floatmusic.de.

Theresia Philipp wohnt im Agnesviertel.

www.theresiaphilipp.de

Gospellieder werden Sie dafür vermutlich nicht komponieren.

Es geht vor allem darum, die Stimmen solcher Frauen zu stärken. Die Musik soll das unterstützen – ohne einer bestimmten Stilistik zu folgen.

Im März diesen Jahres haben Sie den Jazzpreis der Stadt Köln bekommen. Sind Sie jetzt reich und berühmt?

Das war eine große Ehre. Ich bin jedenfalls total dankbar für den Preis, zumal da ja auch noch ein Geldbetrag mit verbunden ist. Das hilft natürlich gerade während der Coronazeit, war ein super Timing für mich.

Sie stammen aus Großröhrsdorf, Landkreis Bautzen. Haben Sie schon mit der Muttermilch Miles Davis gehört?

Nicht im entferntesten. (lacht) Ich bin mit Pop und Schlager aufgewachsen und war Mitglied in einem Spielmannszug.

Können Sie sich noch an das Repertoire des Spielmannszugs erinnern?

Das waren die üblichen Märsche, die man so kennt. Das Militärische hat mich auf Dauer schon gestört – der Gang, die Uniformen, die irgendwann zwackende Hose …

Hat die Humtata-Musik später Einfluss auf Ihren Jazz gehabt?

Die war vor allem wichtig für mich, um dranzubleiben an der Musik. Man hatte auch beim Spielmannszug diese Crowd von Leuten, die man jede Woche traf. Das Gemeinschaftsgefühl war wichtig für mich, die Möglichkeit, mit anderen Menschen Musik zu machen.

Im Wikipedia-Eintrag von Großröhrsdorf gehören Sie mit 29 schon zu den „Berühmten Söhnen und Töchtern“ der Stadt. Macht Sie so etwas stolz?

Krass, wusste ich gar nicht! Stolz würde ich jetzt nicht sagen, aber das gefällt mir. Ich habe eine enge Verbindung zu meiner Heimat und bin da noch immer sehr gern.

Warum ist Köln eine gute Stadt für Jazz-Musiker?

Die Szene hier ist super! Es gibt so viele wahnsinnig gute Musiker und Musikerinnen, der offene Vibe, dieses Familiäre in Köln ist einfach toll. Darüber hinaus ist man hier top organisiert und vernetzt − beispielsweise in der Kölner Jazzkonferenz, in der ich auch als Vorstand tätig bin.

Kein Klüngel, der Fremde von den Töpfen ausschließt?

Überhaupt nicht. Ich hatte wohl Angst davor, in so eine große Stadt wie Köln zu ziehen. Aber hier haben alle Bock, miteinander Musik zu machen, voneinander zu lernen und weiterzukommen. Davon habe ich enorm profitiert.

Stadtgarten oder Metronom?

Eher Stadtgarten, der entspricht mehr meinem Musikgeschmack. Aber das Metronom ist natürlich eine super Jazzkneipe, um mal ein Bier zu trinken.

Sie haben Ihr Kölner Musikstudium mit der Bestnote abgeschlossen. Wie generiert sich denn bei Musikern so eine 1?

(lacht) Da sitzt halt eine Jury und bewertet einen. Ich denke, dort wurde meine Disziplin genauso honoriert wie mein Repertoire und meine künstlerischen Ideen. Die Kölner Hochschule ist da sehr offen.

Gibt es außer Schul- auch besonders schöne musikalische Noten?

Manchmal mag ich die gemeinen, hässlichen Töne meines Saxophons, die sogenannten Multphonics oder Spaltklänge. An anderen Tagen wiederum passt meine Stimmung besser zu einem schön gespielten hohen Cis.

Können Sie mir das vorpfeifen?

Leider nein, ich habe kein absolutes Gehör. Aber das ist der Leerton des Saxophons, falls Ihnen das hilft.

2012 und ’13 gehörten Sie zum BundesJazzOrchester. Was erlebt man da?

Am liebsten erinnere ich mich an ein Konzert auf einem Weinberg in Kroatien. Wir waren nach diesen zwei Jahren eine unglaublich gut eingespielte Gruppe, die da echt was hingelegt hat.

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Auch jenseits dessen sind Sie viel herumgekommen mit der Musik. Wie klingt indischer Jazz?

Puh, anders. (lacht) Aber wenn Sie mich nach fremden Klangerlebnissen fragen, fällt mir als erstes der ostkirchliche Liturgiegesang ein. Ich habe mal einen Posaunisten aus Montenegro kennengelernt, ein orthodoxer Christ, der mich in alle möglichen Klöster mitgeschleppt hat. Und da habe ich dann diese unglaublich faszinierenden Männerchöre gehört.

Und die Musik mit nach Köln gebracht?

In Groß St. Martin gibt es eine monastische Gemeinschaft, die von dieser ostkirchlichen Musik stark beeinflusst ist. Die Mönche und Nonnen dort singen drei Mal am Tag, zu ihren Gebetszeiten. Und da bin ich seitdem immer mal wieder als Zuhörerin oder Mitwirkende dabei.

Sie spielen Klarinette und Saxophon. Haben die Instrumente ein Geschlecht?

Meine Klarinette ist eher weiblich, das Saxophon geschlechtslos. (lacht)

Wann bevorzugen Sie welches Instrument?

Bei meinen eigenen Bands und beim Komponieren hängt es von meiner Klangvorstellung ab. Die Klarinette ist eher eingebettet in einen Song, das Saxophon schwebt darüber. Es ist gesanglicher und bricht eher mal aus.

Sie spielen, jenseits von Corona, in diversen Kombinationen. Ihr Hauptprojekt nennt sich pollon: Was bedeutet das?

(lacht) Das ist unglaublich peinlich. Eigentlich war pollon ein Fantasiewort, das super zu einem italienischen Cartoon passte, den es vorher schon gab und in dem pollon die fiktive Tochter von Apollon ist. Dann haben wir aber leider irgendwann erfahren, dass das auf Spanisch auch „großes Gemächt eines Mannes“ bedeutet.

Klingt nach den schicken chinesischen Schriftzeichen-Tattoos, die sich dann irgendwann als „Nasi Goreng“ entpuppen.

Genau so ist es!

Über das Projekt Hard boiled Wonderland, in dem Sie mitwirken, heißt es auf Ihrer Website: Die Band „nimmt Stellung zu weltpolitischem Geschehen“. Das sind Große Worte.

Mit Musik nimmt man immer Stellung. Für mich geht es, auch wenn das vielleicht schwülstig klingt, immer um die Liebe zwischen den Menschen. Mehr Liebe, weniger Krieg, da bliebe uns viel erspart.

Leben Jazzmusiker klimafreundlich?

Zunächst mal nicht. Man reist viel, trinkt Kaffee to go. Aber wir schaffen Begegnungen zwischen Menschen, wir sorgen für Austausch. Wie wichtig Kultur ist, sieht man doch gerade heutzutage.

Und Ihre Klarinette ist aus nachhaltiger Forstwirtschaft?

(lacht) Das weiß ich nicht. Aber die habe ich schon sooo lange …

Seit diesem Jahr sind Sie an Ihrer alten Hochschule auch Lehrbeauftragte. Was für eine Lehrerin sind Sie?

Ich versuche, allen auf Augenhöhe zu begegnen. Ich lerne von meinen Studierenden ja genauso viel wie die von mir. Die sollen vor allem ihren eigenen Weg gehen. Es geht nicht darum, irgendwelchen Rastern zu folgen oder hip zu wirken. Wichtig ist, in sich reinzuhören und authentisch zu sein.

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